Intelligenz – Teil 2: Die Sicht der wissenschaftlichen Psychologie

Nachdem ich im ersten Artikel zum Thema „Intelligenz“ versucht habe, zu beschreiben, wie die Definition des Konstrukts „Intelligenz“ von Kultur zu Kultur schwankt, soll es in diesem Beitrag nun darum gehen, wie die wissenschaftliche Psychologie die Intelligenz betrachtet und wie sehr auch unter den Experten auf diesem Gebiet die Meinungen hierüber auseinander gehen.

Die Intelligenzforschung nahm ihren Anfang in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, initiiert durch Charles Spearman, den ersten Psychologen, der sich der Erforschung dieses Kontrukts widmete. Er war es auch, der das erste Intelligenzmodell formulierte, welches heutzutage unter dem Begriff der „Zweifaktorentheorie der Intelligenz“ bekannt ist. Dieses Modell basiert, wie fast alle anderen Modelle, die im Übrigen grundsätzlich auf Spearmans Modell aufbauen, auf dem Prinzip der Faktorenanalyse, d.h. auf einem statistischen Verfahren, mit dessen Hilfe man anhand typischer Muster von häufig gemeinsam gelösten und gemeinsam nicht gelösten Aufgaben Rückschlüsse über die Formen von Intelligenz ziehen kann, die von einer Gruppe ähnlicher Aufgaben erfordert werden und somit unterschiedliche Subtypen von Intelligenz darstellen.

Nun hat die Faktorenanalyse aber den Nachteil, dass die Ergebnisse, die sie liefert (die so genannte Faktorstruktur) dem Wissenschaftler enorm viel Interpretationsspielraum lassen und man aus dem gleichen statistischen Ergebnis unterschiedliche Modelle über die Struktur der Intelligenz, d.h. ihre verschiedenen Unterformen, ableiten kann. Das Ergebnis sind unterschiedliche hierarchische Modelle, die die sich allem voran in einem ganz wesentlichen Punkt unterscheiden, und zwar der Frage, ob es einen allgemeinen, allen anderen intellektuellen Fähigkeiten übergeordneten, Generalfaktor der Intelligenz (auch g-Faktor oder einfach nur g genannt) gibt – oder ob die verschiedenen Formen der Intelligenz doch voneinander unabhängig sind. Dies hat für die Praxis sehr weitreichende Folgen, hängt es doch genau von dieser Frage ab, ob wir uns bei der Messung der Intelligenz auf einen einzelnen Wert beschränken können oder ob wir differenzierter vorgehen müssen. Auf der zweiten Ebene spaltet die allgemeine Intelligenz sich in einige wenige Unterfaktoren auf, die zumindest teilweise voneinander unabhängig sind, aber dennoch beide auch mit g zusammenhängen. Auf der dritten Ebene gliedern sich diese Unterfaktoren dann wiederum in spezifische intellektuelle Fähigkeiten wie z.B. Wortgewandtheit und logisches Schlussfolgern auf. Damit Ihnen die Vorstellung dieser (immer sehr ähnlich aufgebauten) hierarchischen Modelle etwas leichter fällt, habe ich in der unten stehenden Abbildung einmal selbst ein beispielhaftes Modell erstellt, von dem ich behaupten würde, dass es zwar vereinfacht ist, aber in vielerlei Hinsicht einen derzeit weit verbreiteten Konsens darstellt, nämlich die Annahme eines gewissen g-Faktors, eine Unterscheidung zwischen fluider und kristalliner Intelligenz auf der zweiten Ebene sowie einige typische, diesen beiden Faktoren wiederum unterordnete Subformen intellektueller/kognitiver Fähigkeiten. Worauf die einzelnen Komponenten dieses beispielhaften Modells jeweils zurückgehen, erfahren Sie in den nächsten Abschnitten.

Beispiel für ein hierarchisches Modell
Beispiel für ein hierarchisches Modell

 

Spearman: G thront über allem

Das von Spearman entwickelte Modell ist sowohl das allerälteste als auch dasjenige, das den Begriff des g-Faktors bzw. der „Allgemeinen Intelligenz“ geprägt hat. Spearman interpretierte die aus der Faktorenanalyse resultierenden hohen Korrelationen (= statistische Zusammenhänge) zwischen den Lösungsmustern unterschiedlichster Aufgaben derart, dass es einen solchen Generalfaktor der Intelligenz geben müsse, da, grob gesagt, Personen, die in einem Aufgabenbereich (z.B. räumliches Denken) gut abschnitten, tendenziell auch in anderen Bereichen (z.B. Wortschatz und logisches Schlussfolgern) gute Ergebnisse erzielten. Dieser Generalfaktor, so Spearman, sei die Grundlage aller Leistungen in Intelligenztests, und er beschreibt ihn als die „Fähigkeit, Zusammenhänge wahrzunehmen und daraus Schlüsse zu ziehen“ – kurz: als „mentale Energie“. G untergeordnet sind im Spearman-Modell nur die „spezifischen Fähigkeiten“, die mit s bezeichnet werden und sprachliche, mathematische und räumliche Intelligenz umfassen. D.h. es gibt im Gegensatz zum oben skizzierten Beispielmodell keinerlei mittlere Ebene.

Auf Spearmans Modell basieren mehrere Intelligenztests, die auch heute noch weit verbreitet sind. Man erkennt diese Tests daran, dass sie am Ende die Berechnung eines Intelligenzquotienten ermöglichen, der als Index für das Niveau der Allgemeinen Intelligenz herangezogen wird. Hierzu gehören z.B. alle Tests aus der Wechsler-Reihe (die aktuellsten sind der Wechsler Intelligenztest für Erwachsene, kurz WIE, und der Hamburg Wechsler Intelligenztest für Kinder in seiner 4. Ausgabe, kurz HAWIK-IV) sowie die Raven-Tests, die nur aus Matrizen-Aufgaben („Welches Bild gehört in das leere Kästchen?“) bestehen und zum Ziel haben, unabhängig von Sprache und Kultur abstraktes, nicht angewandtes Denken zu erfassen.

Abgrenzung von Spearman: Thurstone & Cattell

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde dann von anderen Psychologen eine Fülle weiterer, meist auf Faktorenanalysen und ihrer Interpretation basierender Intelligenzmodelle entwickelt, die sich, wenn man einmal ehrlich ist, nicht wirklich exorbitant voneinander unterscheiden. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass sie fast ausnahmslos in Abgrenzung vom Spearman-Modell enstanden sind und sich somit alle in irgendeiner Form hierauf beziehen. Der zweite Grund ist der, dass man in der Wissenschaft leider auch nicht ständig das Rad neu erfinden kann.

Das Primärfaktorenmodell nach Thurstone: Ebenbürtiges Nebeneinander?

Anders als Spearman betrachtete Louis Leon Thurstone die Intelligenz als eine Sammlung von sieben klar voneinander angrenzbaren, also unabhängigen Intelligenzarten. Diese sieben Primärfaktoren sind: Rechenfähigkeit, Auffassungsgeschwindigkeit, schlussfolgerndes Denken, räumliches Vorstellungsvermögen, assoziatives Gedächtnis, Sprachbeherrschung und Wortflüssigkeit. Widergespiegelt wird dies durch den bekannten Intelligenz-Struktur-Test, kurz IST-2000-R, in dem eben nicht ein IQ-Wert am Ende berechnet wird, sondern mehrere. Kritisch an diesem Modell ist anzumerken, dass Thurstone bei seinen Faktorenanalysen in den Augen einiger Wissenschaftler etwas „gepfuscht“ hat, da er anstatt einer orthogonalen eine oblique Faktorenrotation verwendete – mit dem Ergebnis, dass seine sieben Primärfaktoren leider doch nicht völlig unabhängig voneinander sind. Thurstone räumte tatsächlich später ein, dass diese Kritik berechtigt sei, und erkannte einen gewissen g-Faktor als mögliche Ursache dieser Zusammenhänge an.

Die Zweikomponententheorie nach Cattell: Einführung einer mittleren Ebene

Raymond Bernard Cattell hingegen nahm von vornherein einen g-Faktor als oberste Instanz in seinem Intelligenzmodell an, war zugleich aber der erste, der eine mittlere Ebene (wie im obigen Beispielmodell gezeigt) einführte. Auf ihn geht die bis heute weit etablierte und bewährte Unterscheidung zwischen kristalliner (meist abgekürzt c) und fluider Intelligenz (meist abgekürzt f) zurück, in die sich im zufolge die Allgemeine Intelligenz aufspaltet. Unter der fluiden Intelligenz versteht Cattell eine generelle Denk- und Problemlösefähigkeit, die er als weitgehend unabhängig von kulturellen Einflüssen versteht und die eine wichtige Voraussetzung für den Erwerb neuer Informationen darstellt. Nach Cattell ist die fluide Intelligenz ein angeborenes Merkmal, die sich im Laufe des Lebens stabilisiert oder sogar gegen Ende stagniert. Gegenteilig hierzu verhält sich die bis zum Lebensende stetig anwachsende kristalline Intelligenz, die als kumulative Lebenserfahrung zu sehen ist. Dies deutet bereits darauf hin, dass diese sämtliches im Laufe des Lebens erworbenes Wissen, erworbene Fertigkeiten und Kompetenzen umfasst. Diese erachtet Cattell als stark von kulturellen Einflüssen geprägtes und maßgeblich von sprachlichen Fähigkeiten bestimmtes Konstrukt. Fluide und kristalline Intelligenz sind somit, wie es typisch für Elemente der mittleren Ebene ist, insofern nicht gänzlich unabhängig voneinander, als sie durch die „gemeinsame Mutter“ g verbunden sind, und gleichzeitig ist ihr Zusammenhang hinreichend gering, um sie als zwei separate Unterfaktoren zu betrachten. Dabei wird übrigens durchaus angenommen, dass c und f auf vielfältige Weise interagieren: Zum Beispiel wird davon ausgegangen, dass eine gut ausgeprägte fluide Intelligenz den Erwerb von kritalliner Intelligenz in Form von Wissen und Fertigkeiten erleichtert. Cattells Modell ähnelt sehr stark dem von John B. Carroll. Da letzteres keinen meiner Meinung nach wesentlichen Unterschied aufweist, werde ich es an dieser Stelle nicht gesondert beschreiben.

Auch Cattells Theorie ist in die Entwicklung von Intelligenztests eingeflossen. So findet sich (wenn auch nicht explizit so bezeichnet) die Unterteilung in f und c auch im IST-2000-R wieder. Die Tests aus der Wechsler-Serie erfassen typischerweise leicht überwiegend kristalline Intelligenz, während die ebenfalls bereits erwähnten Raven-Tests, ebenso wie die so genannten Culture Fair Tests (kurz CFTs), hauptsächlich fluide Intelligenz messen, um ausdrücklich kulturelle Unterschiede außen vor zu lassen und diesem Sinne „fair“ zu sein.

Nicht-hierarchische Modelle

Neben den hierarchischen Modellen gibt es auch noch ein paar Vertreter, die von verschiedenen Intelligenzformen ausgehen, die unabhängig und sozusagen „gleichberechtigt“ nebeneinander stehen, ohne dass es einen übergeordneten g-Faktor oder untergeordnete Fähigkeiten gäbe. Im Grunde hätte ich an dieser Stelle auch das Primärfaktorenmodell von Thurstone anführen können; da Thurstone aber im Nachhinein einen g-Faktor doch mehr oder weniger eingeräumt hat, findet es sich bei den hierarchischen Modellen.

Mehrdimensionale Modelle: Inhalt, Prozess & Co.

Zu den im Vergleich zu den hierarchischen Modellen fast schon exotisch anmutenden mehrdimensionalen Modellen gehören das Würfelmodell nach Guilford und das Berliner Intelligenzstrukturmodell nach Jäger. Beiden Modellen gemeinsam ist, dass sich eine sehr große Menge unterschiedlicher „Intelligenzen“ ergeben, und zwar als Produkt einiger weniger Faktoren, die unterschiedliche Ausprägungen aufweisen können. Dabei beruhen auch diese Modelle auf Faktorenanalysen und sind somit ein anschaulicher Beleg dafür, auf welch unterschiedliche Weise man die im Prinzip gleiche Datenlage interpretieren kann.

Im Würfelmodell ist es so, dass sich 150 verschiedene Intelligenzarten als Produkt drei verschiedener Faktoren mit wiederum verschiedenen Ausprägungen ergeben. Unter diesen drei Faktoren versteht Guilford den zu verarbeitenden Inhalt (z.B. akustische Reize), den nötigen Vorgang (z.B. Auswertung der akustischen Reize) und das Produkt (z.B. Herausstellung der Implikationen). Das klingt sehr abtrakt, komplex und schwer überprüfbar, was es auch tatsächlich ist. Ähnliches gilt für das Berliner Intelligenzstrukturmodell, bei dem es im Gegensatz zum Würfelmodell nur zwei Faktoren gibt. Zum einen führt Jäger den Faktor „Operationen“ an, als dessen mögliche Ausprägungen er Merkfähigkeit, Bearbeitungsgeschwindigkeit, Einfallsreichtum und Verarbeitungskapazität anführt. Zum anderen gibt es den Faktor „Inhalte“ mit drei Varianten, und zwar bildhaftem, verbalem und numerischem Material. Insgesamt ergeben sich hieraus also 3×4=12 verschiedene Intelligenzformen, abhängig von der Art des zu bearbeitenden Materials und der Art der geforderten mentalen Operation. Jägers Modell enthält daneben übrigens auch noch einen g-Faktor, der in gewisser Weise allen Faktoren und ihren Ausprägungen gleichsam zugrunde liegt.

Die praktische Anwendung dieser Form von Modellen ist schwieriger als bei den oben beschriebenen Modellen, da, wenn man die Modelle ernst nimmt, für alle möglichen Kombinationen von Faktorausprägungen eine geeignete Aufgabe finden muss. Zwar hat Guilford für den Großteil der in seinem Modell postulierten Intelligenzfacetten inzwischen Aufgabentypen vorgeschlagen, dass diese jedoch in einen standardisierten Intelligenztest übertragen wurden, ist mir nicht bekannt. Anders sieht es mit dem (ja doch deutlich sparsameren) Jäger-Modell aus, welches in Form des Berliner Intelligenzstruktur-Tests (kurz BIS) Anwendung findet.

Gardners Theorie der Multiplen Intelligenzen: Ein Plädoyer gegen G

In den 1980er Jahren veröffentlichte Howard Gardner seine Theorie der Multiplen Intelligenzen und wetterte gewaltig gegen das Konzept der Allgemeinen Intelligenz bzw. den g-Faktor. Er argumentierte, dass klassische Intelligenztests nicht imstande wären, die Fülle an kognitiven Fähigkeiten, über die ein Mensch verfügen kann, zu erfassen, und schlug ein Modell mit sieben voneinander unabhängigen und nicht durch einen übergeordneten g-Faktor bestimmten Intelligenzfacetten vor. An diesem, ebenfalls auf Faktorenanalysen basierenden Modell ist, neben der Tatsache, dass die Unabhängigkeit der Intelligenzfacetten nicht belegt ist, zu kritisieren, dass es eine große Überlappung mit dem (lange vorher veröffentlichten) Thurstone-Modell aufweist (allein schon, was die Zahl der Faktoren angeht). So finden sich bei Gardner u.a. auch die logisch-mathematische, die sprachliche und die bildlich-räumliche Intelligenz. Neu sind allerdings vier Faktoren, die eher den Fokus auf künstlerische und sozio-emotionale Fähigkeiten legen, nämlich die musikalisch-rhythmische, die körperlich-kinästhetische (Einsatz des eigenen Körpers), die interpersonale (Verstehen von und Umgang mit anderen Menschen) und die intrapersonale Intelligenz (Verständnis seinerselbst). Insbesondere die letzten beiden Intelligenzarten sind in der Psychologie inzwischen anerkannte Konstrukte, werden jedoch eher nicht direkt als Form von Intelligenz betrachtet, sondern unter dem Begriff „sozio-emotionale Kompetenz“ zusammengefasst (im Volksmund und in Klatschzeitschriften erfreuen sich allerdings die Begriffe „emotionale Intelligenz“ und „soziale Intelligenz“ allerdings weiter Verbreitung) und als etwas erachtet, das in der Regel in der Kindheit und in der Interaktion mit anderen Menschen erworben wird und eher nicht angeboren ist. Zu diesem Konstrukt gehören z.B. u.a. die Fähigkeit, die Perspektive anderer einzunehmen (Theory of Mind), die Fähigkeit, die emotionale Lage anderer nachzuempfinden (Empathie), das Bewusstsein über eigene emotionale Vorgänge, Wege der Emotionsäußerung und das Bewusstsein über die Wirkung der eigenen Emotionen auf andere sowie die Fähigkeit zur Regulation der eigenen Emotionen.

Sternbergs Triarchisches Modell: Radikale Abkehr vom Hierarchie-Gedanken?

Das von Robert Sternberg postulierte Triarchische Modell, auch bekannt unter dem Namen Komponentenmodell, basiert auf der Informationsverarbeitungstheorie, die, grob gesagt, die menschliche Kognition als Informationsverarbeitungsprozess betrachtet, und gibt vor, eine radikale Abkehr von hierarchischen Strukturen und der Annahme voneinander abgrenzbarer Faktoren darzustellen. Es ist daher auch das einzige bekannte Intelligenzmodell, das nicht auf Faktorenanalysen beruht. Sternberg prägte hiermit auch eine neuartige Definition von Intelligenz und nannte als Teile der Definition die Elemente „Lernen aus Erfahrung“, „abstraktes Schlussfolgern“, „die Fähigkeit, sich einer sich ständig weiterentwickelnden und verändernden Umwelt anzupassen“ und „die Motivation, überhaupt neues Wissen bzw. Fertigkeiten zu erlangen“. Die ersten beiden Aspekte überlappen stark mit der kristallinen und der fluiden Intelligenz, die beiden letzten hingegen sind in der Tat relativ neu und haben bisher kaum Eingang in die Messung von Intelligenz gefunden.

Die eigentliche Intelligenztheorie von Sternberg ist hingegen sehr komplex und meiner Ansicht alles andere als leicht verständlich. Ich wage auch, die kühne Behauptung aufzustellen, dass sich diese Theorie kaum prägnant zusammenfassen lässt, weil sie sich teilweise in Einzelheiten verliert. Daher möchte ich mich darauf beschränken, einige meiner Meinung nach wichtige Teilaspekte der Theorie herauszustellen. Zunächst wird, abgeleitet von der Informationsverarbeitungstheorie, die wichtige Unterscheidung getroffen zwischen der Art des ablaufenden kognitiven Prozesses, der Genauigkeit, mit dem dieser abläuft, und der Art der mentalen Repräsentation, die diesem Prozess zugrunde liegt (z.B. bildliches oder sprachliches Material). Insofern erinnert es es schon an dieser Stelle stark an die oben beschriebenen mehrdimensionalen Modelle. Dann verliert sich die Theorie (meiner Auffassung nach) in mehr und mehr Unter-Theorien, die einen eher geringen Erklärungswert haben und darüber hinaus mehr Ähnlichkeit mit den bereits beschriebenen Modellen haben, als man eigentlich aufgrund der revolutionären Aura der Theorie erwarten würde. Wirklich eingängig ist mir lediglich die „Komponenten-Subtheorie“, die drei Intelligenzkomponenten beschreibt und im Gegensatz zum Rest relativ anschaulich ist. Und zwar stellt Sternberg hier die analytische Intelligenz (abstrakte Denkprozesse, die einer Problemlösung vorausgehen), die praktische Intelligenz (Lösung von Problemen durch Anpassung an die Umwelt, Formung einer Umwelt oder Auswahl einer passenden Umwelt) und die kreative Intelligenz (Nutzen von Erfahrungen zur Lösung von Problemen) dar. Diese, so Sternberg, seien aber nicht in ein hierarchisches System eingebunden und stellten auch keinerlei Intelligenzfaktoren im klassischen Sinne dar – vielmehr seien sie eine Beschreibung dessen, was die Intelligenz leisten muss. Was genau er damit meint, und in wiefern dieser Gedanke sich wirklich von den beschriebenen hierarchischen oder mehrdimensionalen Modellen unterscheidet, bleibt zumindest mir unklar. Fest steht, dass Sternberg keinen g-Faktor anerkennt – doch dies allein ist, wie ich ausführlich dargestellt habe, nichts Revolutionäres.

Fazit

Was ich hoffe, vermittelt zu haben, ist, dass es derzeit kein allgemeingültiges und eindeutiges Verständnis dessen gibt, was „Intelligenz“ ist, in wie vielen verschiedenen Formen sie vorliegt und ob es einen allem übergeordneten g-Faktor gibt. Wenn man sich die empirische Evidenz anschaut, muss man allerdings zugeben, dass die Existenz einer Allgemeinen Intelligenz bzw. eines solchen g-Faktors sehr wahrscheinlich ist, da sich die starken Zusammenhänge zwischen unterschiedlichsten Intelligenztestaufgaben nicht einfach so wegdiskutieren lassen. Weitere Evidenz für dieses Konstrukt der Allgemeinen Intelligenz findet sich übrigens auch aus der Anwendungsforschung, z.B. aus der Arbeits- und Organisationspsychologie, die ergeben hat, dass die Allgemeine Intelligenz mit Abstand der bester Prädiktor von Berufserfolg ist (Näheres dazu hier). Andererseits gibt es auch Belege, die deutlich zeigen, dass sich mit g auch nicht alles erklären lässt und eine Unterteilung auf unterer Ebene durchaus Sinn macht – so gilt die Unterscheidung zwischen kristalliner und fluider Intelligenz z.B. als gut belegt.

Für mich persönlich bedeutet dies, dass die „Wahrheit“ (sollte es diese denn geben) am ehesten durch ein Modell abgebildet wird, das dem von Cattell bzw. Carroll ähnelt – vom Konzept also einem solchen, wie Sie es in der obigen Abbildung finden. Bedenken Sie aber, dass all diese Modelle im Wesentlichen unterschiedliche Interpretationen der weitgehend gleichen Sachlage sind und somit automatisch auch von der jeweiligen Ideologie geprägt sind, die ein Forscher vertritt (z.B. bzgl. der Frage, ob es einen g-Faktor geben darf). Und nicht zu vergessen ist auch, dass die Modelle sich, wenngleich sie sich alle natürlich als neuartig und daher wichtig darstellen, im Grunde nicht besonders stark unterscheiden – wenn man einmal genau nachdenkt.

Im nächsten Teil wird es um die Fragen gehen, was es mit dem Intelligenzquotienten auf sich hat, wie Intelligenz in der Bevölkerung verteilt ist und ob es stimmt, dass wir immer intelligenter werden.

© Christian Rupp 2014