Depression – Teil 3: Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Dieser Artikel ist der dritte und letzte Teil der Trologie zum Thema Depression. Den ersten Teil (Wie man eine Depression erkennt) finden Sie hier, den zweiten (Welche Ursachen einer Depression zugrunde liegen) können Sie hier nachlesen.

Psychotherapie (und was man selbst schon mal probieren kann)

Die Depression als Störung ist sehr gut mittels Psychotherapie behandelbar. Da eine gute Psychotherapie aus meiner Sicht immer ein auf den Patienten individuell zugeschnittenes Vorgehen bedeutet und es deshalb wenig Sinn ergibt, die verschiedenen Psychotherapieverfahren hier im Detail zu beschreiben (was ich auch bereits woanders getan habe – nachzulesen hier), gehe ich hier bewusst nicht auf die vermeintlichen Unterschiede zwischen verschiedenen Formen der Psychotherapie ein. Viel sinnvoller ist es aus meiner Sicht, sich das oben beschriebene Vulnerabilitäts-Stress-Modell ins Gedächtnis zu rufen und sich grundsätzlich bewusst zu machen, dass allgemein bei fast allen psychischen Störungen und speziell bei der Depression eine gute Psychotherapie zwei Säulen haben sollte: Erstens die Unterstützung bei der Bewältigung von Stress bzw. Belastungen, also die so genannte Ressourcenaktivierung, und zweitens die Verringerung der vorhandenen Vulnerabilität, in dem man mit verschiedenen Methoden z. B. ein Schuldschema verändert bzw. „auflöst“, das Selbstwertgefühl stärkt, neue Verhaltensweisen wie z. B. das Setzen von Grenzen erlernt und übt oder Traumata aus der Vergangenheit bearbeitet. Man erkennt: Ersteres bezieht sich vor allem auf die Gegenwart (das Feld der klassischen Verhaltenstherapie), letzteres hingegen auf die Vergangenheit (das Feld der klassischen psychodynamischen Therapierichtungen). Wenn Sie mich fragen, genügt ein bisschen gesunder Menschenverstand, um zu erkennen, dass am besten beides, also Vergangenheit und Gegenwart, in eine Psychotherapie mit einbezogen werden sollten. Denn Prägungen oder unverarbeitete Traumata aus der Vergangenheit können die Bewältigung von Belastungen im Hier und Jetzt erschweren oder blockieren – und umgekehrt kann eine Arbeit an biographischen Prägungen von zu starker aktueller Belastung durch äußere Stressfaktoren unmöglich gemacht werden, sodass es erst einmal Ressourcen braucht.

Tatsächlich gibt es allerdings dank der Psychotherapieforschung ein paar Ansätze, die man guten Gewissens insofern als allgemein hilfreiche „Rezepte“ gegen Depression empfehlen kann, als sie der überwiegenden Zahl der Betroffenen (jedoch nicht unbedingt allen) helfen. Diese „Rezepte“ sind:

Aktivität, soziale Kontakte & stimmungsentgegengesetztes Handeln.

Depressive Menschen verhalten sich oft passiv, gehen nicht mehr aus dem Haus und meiden soziale Kontakte. Das Problem daran ist, dass dieses Verhalten nur schlimmer macht, weil es immer weniger Ereignisse gibt, die die Stimmung aufhellen könnten. Das Rezept lautet daher: Entgegen der niedergeschlagenen Stimmung handeln. Weil der Antrieb meist schlecht ist, ist es wichtig, mit kleinen, manchmal mit ganz kleinen Dingen anzufangen, die nicht lästig, sondern nur angenehm sind und einem gut tun (das ist wichtig, denn sonst wird es mit dem Aufraffen nicht klappen). Man spricht in diesem Kontext deshalb auch von Selbst- oder Eigenfürsorge. Wenn man das geschafft hat und die Stimmung vielleicht sogar ein kleines bisschen weniger schlecht geworden ist, kann man die nächstgrößere Aktivität in Angriff nehmen, als nächstes vielleicht jemanden anrufen, mit dem man lange nicht gesprochen hat, und als überübernächstes vielleicht eine kleine lästige Erledigung im Haushalt machen, die man stolz ist geschafft zu haben. Wenn einige dieser Aktivitäten nach draußen führen, ist das übrigens aus zwei Gründen zusätzlich gut: Erstens, weil man dann vielleicht sogar eine sportliche Aktivität daraus machen kann (nachgewiesenermaßen sehr gut gegen Depression) und zweitens, weil das Tageslicht unsere innere Uhr synchronisiert, die Vitamin D-Produktion vorantreibt und über diverse Prozesse in unserem Gehirn die Stimmung weiter aufhellen kann. Dies gilt übrigens auch an trüben Tagen: auch wenn der Himmel bedeckt ist, ist es draußen noch immer deutlich heller als in der künstlich beleuchteten Wohnung.

Reden.

Fast jeder kennt es: Wenn man erst einmal darüber reden konnte, was einen beschäftigt und wie es einem geht, bringt das schon ein Stück Entlastung. Und diese Person muss und sollte in erster Instanz auch kein Psychotherapeut sein, sondern besser eine Freundin, jemand aus der Familie, oder bei manchen vielleicht auch das Haustier.

Achtsamkeit.

Ja, es gibt einen großen Hype um das Thema Achtsamkeit, aber dieser ist auch nicht ganz unbegründet. Im Kern geht es darum, zu lernen, erstens die Welt um einen herum bewusster wahrzunehmen und zweitens zu lernen, unsere innere Welt aus Gefühlen und Gedanken lediglich aus einer Beobachterposition wahrzunehmen. Das Schöne an Achtsamkeit ist, dass man hierfür nicht unbedingt eine Psychotherapie machen muss, sondern z. B. von Volkshochschulen entsprechende Kurse angeboten werden. Ebenso gibt es natürlich heutzutage eine große Zahl an entsprechenden Apps zum Download. Halten Sie Ausschau nach den Begriffen „MBSR“ (Mindfulness-Based Stress Reduction) und „MBCT“ (Mindfulness-Based Cognitive Therapy“). Ein wichtiger Autor in diesem Bereich ist Jon Kabat-Zinn.

Entspannungstechniken.

Die Forschung hat gezeigt, dass Entspannungsverfahren gegen Depression helfen, was nicht verwunderlich ist, wenn man sich die Rolle von Stress und dem Stresshormon Cortisol bei der Entstehung von Depression vor Augen führt. Da sie kaum schaden können, spricht im Grunde nichts dagegen, sie auszuprobieren. Viele Achtsamkeitsübungen sind unweigerlich gleichzeitig Entspannungsübungen. Die beiden am besten auf ihre Wirksamkeit hin untersuchten Entspannungsverfahren sind darüber hinaus das Autogene Training und die Progressive Muskelentspannung (bzw. Muskelrelaxation) nach Jacobsen, kurz PME oder PMR. Letztere basiert auf dem Wechsel zwischen muskulärer Anspannung und Entspannung, die sich auf die mentale Entspannung ausweitet. PMR bzw. PME findet man ebenfalls im Kursangebot von Volkshochschulen & Co. und darüber hinaus in zahlreichen Varianten und kostenlos als Audio-Anleitung im Internet, sowohl bei Youtube als auch auf den Seiten mancher Krankenkasse wie der TK. Sehr wichtig bei Methoden wie der PMR ist allerdings (und das wird viel zu wenig betont): Sie sind nicht zu verstehen als etwas, das man wie eine Kopfschmerztablette anwendet, wenn es einem akut schlecht geht. Nein, die gesamte Forschung zu PMR zeigt, dass diese Methode ihre Wirksamkeit in Form einer Reduktion der Grundanspannung erst dann entfaltet, wenn man sie über mehrere Wochen jeden Tag durchführt. Somit sind Entspannungsmethoden eher als Dauermaßnahme zu verstehen und sollten am besten täglich geübt werden.

Das Grübeln in den Griff kriegen.

Das typische, sich im Kreis drehende Denken, bei dem am Ende nichts herauskommt (siehe Teil 1), kann Depressivität wunderbar aufrechterhalten, weil es zur dauerhaften Ausschüttung von Cortisol beiträgt und einen zudem davon abhält, mitzubekommen, was Positives um einen herum passiert. Aktiv zu werden, wie oben beschrieben, ist daher schon super gegen Grübeln. Was darüber hinaus noch hilft, ist das Grübeln auf eine halbe Stunde pro Tag zu begrenzen, jeden Grübelgedanken außerhalb dieser Zeit auf diese halbe Stunde zu „vertagen“ und in dieser halben Stunde am Tag das Grübeln aufzuschreiben. Und zwar wortwörtlich, genau so sich-im-Kreis-drehend, wie es ihnen in den Sinn kommt. Sie können hierfür ein so genanntes Grübeltagebuch anlegen, das nur in dieser halben Stunde pro Tag zum Einsatz kommt und danach irgendwo gut nicht-sichtbar verstaut wird. Ab dem zweiten Tag lesen Sie sich bitte zuerst durch, was sie am Vortag an Grübeleien aufgeschrieben haben (sie werden merken, es wiederholt sich und klingt am Folgetag schon nicht mehr ganz so belastend) und grübeln dann schriftlich weiter. Mein Tipp: Stellen Sie sich einen Wecker, der Sie nach Ablauf der halben Stunde aus der Grübelei rausholt. Und: Genau wie bei der PMR wirkt diese Technik erst, wenn man sie ein paar Wochen am Stück durchführt. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Grübeln und die emotionale Belastung weniger werden. Diese Technik wirkt mehrfach: Erstens fördert das Schreiben die emotionale Verarbeitung, zweitens schafft es Abstand von den sonst nur im Kopf stattfindenden Grübelprozessen. Und drittens schafft es Freiraum für nicht problembehaftete, sondern angenehme Aktivitäten, passt also hervorragend zu der oben beschriebenen ersten Strategie.

Medikamentöse Behandlung

Alternativ oder ergänzend zu einer Psychotherapie können bei einer mindestens mittelgradigen depressiven Episode auch Antidepressiva gegeben werden. Diese sind kurzfristig ähnlich wirksam wie KVT, führen aber nachweislich zu mehr Rückfällen, haben diverse Nebenwirkungen und wirken besonders bei denjenigen Patienten, bei denen die Ursache hauptsächlich biologisch, d.h. organisch bedingt ist. Zudem liegen Hinweise vor, dass Antidepressiva eigentlich nur bei schweren Depressionen eine Wirkung aufweisen, die tatsächlich über den Placeboeffekt hinausgeht. Über die Wirkung von Antidepressiva und die damit verbundenen Kontroversen habe ich einen separaten Artikel verfasst, den Sie hier finden können. Zu der Frage, ob Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen das Suizidrisiko erhöhen, finden Sie außerdem hier einen ausführlichen Artikel.

Probiotika

Wie in Teil 2 bereits beschrieben, kann die Einnahme von bestimmten Probiotika, d. h. lebenden Bakterienstämmen aus dem Bereich der Bifido- und Milchsäurebakterien, die Stimmung und das Stressempfinden beeinflussen und auch Depressivität lindern. Die Forschung ist jedoch leider noch nicht soweit, dass man genaue Empfehlungen geben könnte, welche Bakterien man einnehmen sollte. Interessierte seien auch hier wieder an das hervorragende Buch „Darm mit Charme“ von Giulia Enders verwiesen.

Weitere Optionen bei chronischen Depressionen: Schlafentzug, Lichttherapie, Elektrokrampftherapie

Schwere Depressionen (die vor allem durch akute Suizidneigung und weitgehende Funktionsunfähigkeit der Patienten gekennzeichnet sind) müssen in der Regel zunächst mit Antidepressiva behandelt werden, bevor eine Psychotherapie überhaupt möglich ist. Bei chronisch und schwer depressiven Patienten, die auf Medikamente und Psychotherapie nicht ansprechen, werden auch noch weitere „Register gezogen“, die zunehmend invasiv sind. Neben harmloseren therapeutischen Maßnahmen wie Lichttherapie (vor allem kurzwelliges blaues Licht mit mindestens 10.000 Lux Helligkeit wirkt stimmungsaufhellend und wachmachend) und Schlafentzug (beides hellt die Stimmung auf und widerspricht somit der Überzeugung vieler Patienten, es könne ihnen nie wieder besser gehen) gibt es auch noch die Elektrokrampf-Therapie (EKT), bei der das Gehirn des Patienten unter Narkose mit gezielten elektrischen Impulsen behandelt und dadurch ein künstlicher epileptischer Krampfanfall ausgelöst wird. Das klingt grausam, ist aber bei vielen Patienten, bei denen nichts anderes hilft, oft eine sehr effektive Maßnahme. Die Wirkweise der EKT ist immer noch nicht geklärt, aber eine Hypothese ist die, dass durch das elektrische „Durchrütteln“ des Gehirns eine Art Reset-Taste gedrückt und die Produktion von Nerven-Nährstoffen stimuliert wird, die wiederum Mangelzustände ausgleichen und das Zellwachstum anregen. Die Nebenwirkungen sind allerdings nicht zu unterschätzen; so kann es z.B., wenn auch in sehr seltenen Fällen, zu einer globalen oder partiellen Amnesie kommen, die sich in der Regel aber binnen einiger Tage zurückbildet.

Fazit

Um den Bogen zu den zu Beginn von Teil 1 beschriebenen Vorurteilen zu schlagen, kann man also folgendes Fazit ziehen: Depression ist, wenn man die Diagnose korrekt stellt (!), eine ernst zu nehmende und vergleichsweise häufige Erkrankung, die sich niemand aussucht, für die man sich nicht schämen muss und die gut therapierbar ist. Es lohnt ich also alle Male, eine Behandlung aufzusuchen!

© Dr. Christian Rupp 2020