Motivation – Teil 7: Was treibt uns wirklich an? Wie Sie Zugang zu Ihren unbewussten Motiven erhalten.

Dieser letzte Teil der Themenreihe zu Motivation ist zugleich der kürzeste, vielleicht aber auch der interessanteste. Nachdem ich nun in den vergangenen sechs Teilen jede Menge darüber erzählt habe, welche Macht unsere impliziten Motive über uns haben, wäre es gemein, Ihnen vorzuenthalten, wie man nun einen Zugang zu seinen unbewussten Motiven erlangt. Nun könnte ein gewiefter Leser einwenden, dass Motive, wenn man sich einen Zugang zu ihnen verschaffen kann, wohl kaum unbewusst sein können. Das ist auch weitgehend richtig. Aber ebenso wie ein projektiver psychologischer Test wie der TAT einen Einblick in unsere impliziten Motive und Wünsche liefern kann, kann man sich auch auf anderem Wege „Zugang“ zu diesen verschaffen, wenn man einmal über die folgenden drei Fragen nachdenkt:

Was machen Sie, auch wenn Sie dafür keine Belohnung erhalten, immer wieder, empfinden Freunde dabei, und vernachlässigen dafür sogar andere Dinge, weil ihnen die Sache so mühelos von der Hand geht?

Sehr wahrscheinlich handelt es sich hierbei um Handlungen, die von impliziten Motiven angetrieben werden. Diese erleben wir als mühelos und angenehm – sie machen uns Spaß. Oft sind dies Hobbies, sofern uns diese nicht durch unser Selbstkonzept vorgeschrieben wurden („Du musst ein erfolgreicher Sportler sein“). Wenn es ihnen Freude bereitet, sich z.B. sportlichen Herausforderungen zu stellen und leidenschaftlich einen Schritt nach dem anderen in Richtung eines Ziels (z.B. ein neuer eigener Rekord beim Sprinten) zu machen, dann verfügen sie wahrscheinlich über ein stark ausgeprägtes implizites Leistungsmotiv. Wenn Sie richtig darin aufgehen, z.B. als Vorsitzender des örtlichen Kleingärtnervereins Dinge zu entscheiden, Ansprechpartner für alle anderen zu sein und an diese Aufgaben zu delegieren, zeugt das von einem starken impliziten Machtmotiv. Und wenn Sie jemand sind, der am liebsten stundenlang mit Freunden oder Freundinnen telefoniert und dabei total die Zeit vergisst, dann weist das auf ein deutliches implizites Anschlussmotiv hin. Zum Vergleich: Rein explizit motivierte Menschen würden diese Telefonate auf das Nötigste beschränken und hätten ständig die Uhr im Blick („Wie lange muss ich noch mit ihr reden, damit sie nicht denkt, ich sei eine schlechte Freundin?“).

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie gerade etwas Langweiliges tun, z.B. in der Schlange stehen, Aufzug fahren, Wäsche aufhängen, bügeln, in der Kirche sitzen oder bei einer Hotline in der Warteschleife hängen und „Keine Panik auf der Titanic“ von Jürgen Drews hören?

Hier gilt das gleiche: In langweiligen Situationen rufen wir gerne innere Bilder und Gedanken herbei, die sich um Handlungen drehen, die mit unseren impliziten Motiven im Einklang sind („Tagträume“). So könnte ein unbewusst machtmotivierter Mensch sich z.B. Situationen ausmalen, wo er andere Menschen dominiert, ein implizit anschlussmotivierter Mensch könnte sich vorstellen, wie er von all seinen Freunden umgeben ist und in deren Gesellschaft förmlich aufblüht. Warum füllen wir die Langeweile mit diesen Tagträumen? Nun, weil sie natürlich, da von impliziten Motiven gesteuert, unmittelbar positive Emotionen erzeugen! Und wer möchte sich nicht gut fühlen?

Welches Ziel haben Sie schon einmal über lange Zeit verfolgt, dort hinein viel Energie und Arbeit investiert, die Tätigkeit selbst aber als schrecklich anstrengend erlebt und dann am Ende festgestellt, dass sie sich über die Verwirklichung nicht wirklich freuen konnten?

Wenn Ihnen hierzu etwas einfällt, kann Ihnen das Aufschluss darüber geben, welchem Ziel, dass Sie einmal verfolgt haben, die wahre Motivation durch implizite Motive fehlte: Die Abschlussarbeit zu einem Thema, mit dem man selbst eigentlich nichts anfangen kann? Aufgaben, zu denen Sie sich haben drängen lassen? Ihr Job, den Sie letztendlich gekündigt haben? In all diesen Fällen fehlte die „emotionale Energie“, die Handlungen antreibt, die von impliziten Motiven ausgehen. In der Folge kommt die „volitionale Steuerung“ zum Einsatz, was dann wiederum in die „volitionale Erschöpfung“ (siehe Teil 6) führen kann.

Sie haben etwas gefunden?

Wenn Sie beim Beantworten dieser Fragen bemerkt haben sollten, dass zentrale Dinge in Ihrem Leben, z.B. Ihre berufliche Tätigkeit, nicht von impliziten Motiven getragen werden, sollten Sie deshalb aber nicht gleich in Panik verfallen und die Tätigkeit sofort aufgeben. Es ist zwar so, dass Menschen, deren Arbeit mit ihren impliziten Motiven übereinstimmt, zufriedener sind und bessere Leistung erbringen als solche, wo diese im Widerspruch zueinander stehen – und zwar unabhängig von der Bezahlung, die übrigens fehlende Motivation durch implizite Motive nicht völlig ausgleichen kann. Dennoch muss man auch realistisch bleiben und zugeben, dass viele Menschen sich ihren Job nicht aussuchen können und es daher für sie am wichtigsten ist, überhaupt Arbeit zu haben. Nicht zuletzt kann ein nicht implizit motivierter Job auch durch ein implizit motiviertes Hobby oder Ähnliches ausgeglichen werden, führt also nicht zwangsläufig in eine Katastrophe. Und oftmals muss die Konsequenz einer unpassenden impliziten Motivstruktur auch nicht zwangsläufig bedeuten, dass man seinen Job sofort kündigt. Häufig ist es möglich, sich innerhalb eines Arbeitsverhältnisses andere Tätigkeiten zu suchen, die besser „zu einem passen“ – und da der (durchaus kausale) Zusammenhang zwischen der Arbeitszufriedenheit und der Leistung hundertfach wissenschaftlich nachgewiesen wurde, sollte ein guter Arbeitgeber solche Veränderungen auch unterstützen.

Das war es also mit der Motivation. Aber nur thematisch, denn meine Motivation, Sie darüber aufzuklären, was die Psychologie noch so alles weiß und kann, ist weiterhin ungebrochen. Und keine Sorge: Ich denke, hier stimmen implizites und explizites Motiv überein ;-).

© Christian Rupp 2013

Motivation – Teil 6: Wenn wir wollen, was wir nicht mögen: Implizite und explizite Motive im Konflikt

Warum kommt es überhaupt zum Konflikt?

In den vergangenen Teilen ist es schon vermehrt angeklungen, und nun soll es in diesem Teil endlich darum gehen: um den Fall, dass implizite und explizite Motive sich widersprechen. Wie das sein kann? Nun, am einfachsten kann man dies beantworten, wenn sich einmal vor Augen führt, wie die beiden verschiedenen Formen von Motiven entstehen. Während implizite Motive in der sehr frühen Kindheit durch emotionale Lernerfahrungen entstehen (z.B. im Hinblick auf das implizite Leistungsmotiv die Erfahrung, dass das Überwinden von Herausforderungen sich „gut anfühlt“), bilden sich explizite Motive erst später zusammen mit dem Selbstbild aus. Und an dessen Entwicklung sind starke soziale und kognitive Faktoren beteiligt. Das Individuum lernt, welche Werte und Ziele von den Menschen in seiner Umgebung vertreten werden (sozialer Faktor), verarbeitet diese und versieht sie mit eigenen Wertungen (kognitiv) und formt schließlich daraus sein Selbstkonzept mit seinen persönlichen Wünschen und Zielen. So kann ein starkes explizites Leistungsmotiv z.B. entstehen, wenn ein Kind von vielen sehr erfolgreichen Menschen umgeben ist, die immer wieder direkt oder indirekt den Eindruck vermitteln, dass Erfolg einen Menschen wertvoll macht. Als Konsequenz hieraus formt das Kind ein Selbstkonzept der Sorte „Ich bin ein Leistungsträger“ bzw. „Ich muss mich anstrengen“, und folglich wird von dem Erreichen dieser selbst gesetzten Ziele der Selbstwert dieses Menschen abhängen. Erfolge steigern den Selbstwert, Misserfolge werden ihn mindern. Ich werde bei diesem Beispiel bleiben, um einmal zu verdeutlichen, was passiert, wenn ein solches explizites Motiv nicht zum jeweiligen impliziten Motiv passt. Denn ist dies nicht der Fall, kann das zu motivationalen Defiziten und starken emotionalen Beeinträchtigungen führen.

Der „verborgene Stressor“: Wollen, aber nicht mögen

Gut untersucht sind die Probleme, die auftreten, wenn ein stark ausgeprägtes explizites Leistungsmotiv („Ich will gut sein“) auf ein nur schwach ausgeprägtes implizites Leistungsmotiv trifft. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das Selbstbild sagt: „Ich bin ein Topstudent“, man aber eigentlich gar keine Freude an Herausforderungen hat (implizites Motiv). Personen mit dieser Motivstruktur wollen Leistung zeigen, weil die daraus resultierenden Erfolge für sie belohnend sind, da sie ihren Selbstwert steigern. Sie mögen Herausforderungen (z.B. die Abschlussarbeit verfassen) selbst aber gar nicht, sodass diese als furchtbar anstrengend erlebt werden, weil die Tätigkeit selbst nicht zu ultimativen positiven Gefühlskonsequenzen führt. Nicht selten können sich solche Menschen dann über ein erreichtes Ziel auch nicht freuen, weil die Arbeit auf dem Weg dorthin als so erschöpfend erlebt wurde, dass man einfach nur froh ist, dass man’s hinter sich gebracht hat. Und hier kommt nun auch der Rückbezug zum Thema Volition: Wenn das implizite Motiv fehlt, fehlt aufgrund der fehlenden kurzfristigen Gefühlskonsequenzen auch die Motivation. Gesteuert werden diese Handlungen dann ausschließlich durch Volition, also durch die Kraft des Willens. Bei Menschen, die ein starkes explizites und ein schwaches Leistungsmotiv vereinen, spricht man daher auch von „volitionaler Erschöpfung“. Dies beschreibt einen Zustand der Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit im Hinblick auf Tätigkeiten, für die aktuell keine Motivation aufgebracht werden kann und die daher rein willentlich gesteuert werden müssen. Diese Dinge machen keinen Spaß, gehen alles andere als leicht von der Hand und ziehen sich wie Gummi, angetrieben jedoch von dem fernen Ziel, das Selbstbild zu bestätigen und, im Falle einer Abschlussarbeit z.B., den Selbstwert durch eine sehr gute Note zu steigern. Dieser Zustand der „volitionalen Erschöpfung“ gilt in der klinischen Psychologie als so genannter „verborgener Stressor“ (Stressor = Stressauslöser) – „verborgen“ deshalb, weil die Ursache (das zu schwache implizite Motiv) den Betroffenen nicht bewusst und daher nicht zugänglich ist.

Weitere Beispiele: Anschluss & Macht

Ähnliche Probleme entstehen, wenn das implizite Anschlussmotiv nur gering ausgeprägt ist, aber das explizite sehr stark. Dies ist z.B. der Fall, wenn mein Selbstkonzept besagt: „Ich brauche viele Freunde, weil das zeigt, dass ich beliebt bin“ (Wie diese Annahme auch kulturell geprägt wird, kann man in jedem amerikanischen Teenie-Film betrachten), aber soziale Beziehungen eigentlich gar keinen Belohnungswert für mich haben, weil ich mich in Gesellschaft überhaupt nicht wohl fühle. Solche Menschen leiden auch an starkem Stress, der dadurch entsteht, dass sie sich dazu verpflichtet fühlen, bewusst darauf zu achten, dass sie all ihren sozialen Kontakten gerecht werden (durch regelmäßige Treffen, Telefonate, Geschenke, etc.). Denn schließlich haben sie im Kopf, dass sie gemocht werden müssen, weil sie sonst kein wertvoller Mensch sind (wieder Thema Selbstwert). Das Pflegen der sozialen Kontakte wird ebenso wie beim letzten Beispiel als furchtbar anstrengend empfunden, positive emotionale Konsequenzen kurzfristiger Art gibt es nicht.
Ähnliches gilt für ein schwaches implizites und ein starkes explizites Machtmotiv, z.B. beim Sohn eines Unternehmens, der von Kindesbeinen an eingetrichtert bekommt, dass er eines Tages das Familienunternehmens übernehmen soll. Es formt sich das Selbstbild „Ich bin ein Anführer“, das jedoch von keinem impliziten Machtmotiv unterstützt wird: Macht ausüben macht einfach keinen Spaß, sich durchsetzen ist dem Mann unangenehm, und Führungsverhalten wird als anstrengend empfunden. Es „liegt“ solchen Leuten einfach nicht, andere zu dominieren.

Und andersrum: Wenn wir mögen, aber nicht wollen

Der Fall, dass das implizite Motiv stark und das explizite schwach ausgeprägt ist, existiert allerdings auch. Es hat keine so belastenden Folgen wie das Gegenteil, kann aber dazu führen, dass Menschen nie zu dem gelangen, was ihnen wirklich Freude bereitet. Wenn z.B. ein großes implizites Leistungsmotiv vorhanden ist, eine Person also Freude beim Aufsuchen und Bewältigen von Herausforderung empfindet, aber das Selbstbild dieses nicht widerspiegelt, werden die entsprechenden Aktivitäten (z.B. ein Studium) nicht aufgesucht. Dies ist z.B. ein Problem in so genannten „Arbeiter-Familien“, in denen akademische Bildung nicht üblich ist. Wenn ein Kind in einer solchen Familie nicht lernt, dass Bildung wichtig ist (z.B. um ein selbstbestimmtes Leben zu führen), sondern dass es viel wichtiger ist, möglichst schnell (wenn auch nicht viel) Geld zu verdienen, wird das Selbstbild dieses Kindes nicht das explizite Motiv enthalten, Leistung zu demonstrieren, weil dieses nicht wichtig für den Selbstwert ist. Am Ende führt dies dann dazu, dass das jeweilige Kind sein implizites Leistungsmotiv nie ausleben wird – und ihm zahlreiche Erfahrungen, die es mit Freude erfüllen würden, verwehrt bleiben werden.

Klinische Folgen und psychotherapeutische Maßnahmen

Es leuchtet ein, dass solche Widersprüche in der Motivstruktur eines Menschen erhebliche Folgen für dessen psychische Gesundheit haben können. Klinisch betrachtet zeigt die Forschung, dass solche „chronische Inkonsistenzen“ das Risiko für Depression und somatoforme (d.h. psychosomatische) Störungen erhöhen. Typische Probleme von Patienten in psychotherapeutischer Behandlung bestehen zudem oft darin, dass sie unfähig sind, sich von expliziten Partnerschafts- und Berufszielen („Ich will mit ihr zusammenbleiben, weil ich nicht weiß, wo ich sonst hin soll“ / „Mein Job macht mir keinen Spaß, aber immerhin ist er sicher) zu trennen, die ohne Freude verfolgt werden oder hohe psychische Kosten mit sich bringen. Dann ist es wichtig, Patienten auf ihre impliziten Motive aufmerksam zu machen und diese nach Möglichkeit mit ihren expliziten Motiven in Einklang zu bringen („Klärungsarbeit“). Ein weiterer Anwendungspunkt besteht im therapeutischen Prozess selbst: Zu Beginn einer Psychotherapie setzen sich Patienten üblicherweise Ziele, die sie im Verlauf der Therapie erreichen wollen. Hierbei ist es wichtig, zu beachten, dass diese Ziele mit den impliziten Motiven des Patienten deckungsgleich sind. Außerdem ist es wichtig, zu überwachen, ob ein zu Beginn der Therapie gesetztes Ziel vielleicht doch abgelegt oder geändert werden muss, weil es nicht mehr mit den inzwischen geklärten impliziten Motiven im Einklang steht.

Was sie sich jetzt vielleicht fragen, ist: „Toll, und wie komme ich nun an meine impliziten Motive?“ Einen Weg habe ich bereits in Teil 4 vorgestellt: den TAT bzw. dessen Neuentwicklung, die Picture Story Exercises. Ein paar einfachere Tipps finden Sie im finalen Teil Nr. 7, der sich ausschließlich mit dieser Frage auseinander setzt.

© Christian Rupp 2013