Esoterik vs. Wissenschaft: Von Glauben, Wissen und der Fähigkeit, beides zu unterscheiden.

Ich habe zwar angekündigt, dass das nächste Thema “Intelligenz” sein wird, jedoch befand ich mich vor wenigen Tagen plötzlich in Mitten einer Diskussion zum Thema “Wirksamkeit von alternativen Heilmethoden” bzw. “Wissenschaft versus Esoterik”, die ich euch, weil mir dieses Thema so unglaublich am Herzen liegt, auf keinen Fall vorenthalten wollte. Daher gibt es jetzt einen Abstecher in ein Gebiet, dass ein großes Steckenpferd von mir geworden ist und einer der Hauptanlässe dafür war, vor fast einem Jahr diesen Blog zu starten. Falls euch der Text, den ich ungerne zerstückeln wollte, zu lang ist, um ihn direkt zu lesen – lest ihn entweder später oder scrollt ans Ende und lest die letzten fünf Abschnitte. Das Thema ist wichtig, und ich finde, es sollte jeden interessieren.

Dazu vorab schon der Hinweis, dass ich mich im Folgenden bei dem Begriff “Esoterik” auf dessen Bedeutung im Alltag, d.h. auf das gesamte Spektrum spiritueller, mystischer und okkulter Lehren und Verfahren beziehe, die gegenwärtig existieren. Ich beziehe mich dabei nicht auf die ursprüngliche Bedeutung des aus dem Altgriechischen stammenden Wortes, das eine philosophische Lehre bezeichnet, die nur einem begrenzten Personenkreis zugängig war (“eso” = innen / nach außen begrenzt). Auf Vertreter dieser Lehren und Praktiken werde ich mit dem Begriff “Esoteriker” verweisen, der, was ich betonen möchte, nicht abschätzig gemeint ist.

In der Diskussion, die online in einem bekannten sozialen Netzwerk (was könnte das wohl sein…?) stattfand, ging es ursprünglich um das Thema Reiki. Reiki ist eine dem esoterischen Bereich zuzuordnende, aus Japan stammende Heil- und Entspannungsmethode; die Lehre geht wahrscheinlich auf Mikao Usui zurück und bedeutet übersetzt so viel wie “geistige Lebensenergie”. Im Wesentlichen geht es darum, dass ein “Reikilehrer” (d.h. jemand, der sich mit Usuis Lehren auskennt, eine gewisse Form der “Ausbildung” hinter sich gebracht hat und sich oft für einen besonders feinfühligen und sensiblen Menschen hält), einem anderen Menschen die Hand auflegt (daher ist Reiki auch als “Handauflegen” bekannt) und dadurch jene Lebensenergie überträgt (= “Reiki gibt”).

Die im Folgenden sinngemäß wiedergegebenen (nicht wörtlich zitierten) Diskussionspartner besitzen eine ausgeprägte Affiliation zum gesamten Feld der Esoterik; einer von beiden beschäftigt sich seit einigen Wochen mit Reiki und wendet es immer häufiger bei anderen an, bisher vor allem bei Familienmitgliedern. Die zweite Person wiederum kennt die erste gut und ist von deren Arbeit begeistert.

Also, los ging es (nachdem eine hier irrelevante dritte Person geschrieben hatte, wie gut sie nach einer “Reiki-Anwendung” geschlafen habe) nach einem kurzen Kommentar meinerseits, dass ich Reiki aufgrund meines Wissens über seine wissenschaftlich erforschte Wirksamkeit ablehne. Ich werde nun versuchen, alles so objektiv wie möglich darzustellen. Mein Ziel ist es nicht, meine Diskussionspartner in den Dreck zu ziehen oder mich über sie lustig zu machen. Ich möchte anhand dieser Diskussion anschaulich deutlich machen, warum ich eine so kritische Einstellung gegenüber Esoterik & Co. habe und außerdem aufzeigen, auf welchen typischen gedanklichen Fehlern esoterische Weltanschauungen oft beruhen. Dazu möchte ich darauf hinweisen, dass ich meine Beiträge in der Hinsicht überarbeitet und ergänzt habe, dass ich persönliche Ansprachen herausgenommen, einiges umformuliert und ergänzt habe. Die beiden Diskussionspartner nenne ich der Einfachheit halber A und B.

Thesen des Diskussionspartners A:

  • Es gehe bei Reiki nicht darum, den Verstand zu benutzen, sondern darum, sich seinen Gefühlen hinzugeben (Ziehen einer Grenze zwischen Emotion und Kognition).
  • Zu viel Wissenschaft tue der Welt nicht gut, weil sie in der Vergangenheit unzähligen Menschen das Leben gekostet habe (Hexen, Heiler, etc.).
  • Es gebe Dinge zwischen Himmel und Erde, die mit dem Verstand nicht zu erklären seien.
  • Andere Beispiele: Yoga, autogenes Training, Meditation: Hier lerne man, seine Gedanken fließen zu lassen und loszulassen. Das täten sehr viele Menschen jeden Tag.

Daraufhin meine Antwort:

Ja, das ist ja auch alles nicht falsch, aber man muss dennoch differenzieren. Natürlich gab es (in der Vergangenheit!) dunkle Kapitel der Wissenschaft (Tier- und Menschenversuche – scheußlich), aber das ist kein Grund, die Befunde der modernen Wissenschaft anzuzweifeln, denn deren Aussagekraft ist eine Frage der Methodik. Zumal der weitaus größere Feind von Heilern, Hexen und Co. sicherlich die Kirche war, die ebenfalls die Wissenschaft bekämpft hat (siehe z.B. Leonardo Da Vinci, Nikolaus Kopernikus, etc.), aber das ist eine andere Geschichte.

Die moderne Wissenschaft hat auf vielen Gebieten eine Menge Licht ins Dunkel gebracht und auch Meditation, Yoga & Co. untersucht – es gibt da sehr viele spannende Studien, vor allem aus dem neurowissenschaftlichen Bereich, z.B. mit buddhistischen Mönchen als Probanden. Nur die alltägliche Unterscheidung zwischen “Verstand” und “Gefühlen” ist in Wahrheit kaum zu vertreten, weil die beiden untrennbar miteinander vernetzt sind, was Sie auch hier nachlesen können. Und in der Tat wurde und wird die Wirksamkeit von alternativen Heilmethoden (von Akupunktur und “Chakrenarbeit” über Reiki und Bioenergetik bis hin zu “Geistheilung” und “Energiearbeit”) intensiv untersucht. Und zwar geschah und geschieht dies in Doppelblindstudien, die die stärksten kausalen Schlüsse zulassen, die in der Wissenschaft möglich sind und die den Teilnehmern ganz bestimmt nicht schaden – eine entsprechende Erklärung findet sich hier.

Das allerhäufigste Ergebnis in Studien, die die Wirksamkeit jener Verfahren untersucht haben, ist, dass die Wirkung nicht von dem Heilverfahren an sich ausgeht, sondern entweder davon, dass die Betroffenen an die Wirkung glauben (= Placebo-Effekt) oder davon, dass die Wirkung auf irgendwelche anderen, meist trivialen Faktoren zurückzuführen ist. Dies ist knallharte wissenschaftliche Realität.

So, nun bin ich der folgenden Meinung: Ich finde einerseits, dass es im Prinzip egal ist, warum etwas wirkt, weil es für den Betroffenen entscheidend ist, dass es wirkt. Ebenfalls wissenschaftlich untersucht wurden nämlich auch die Selbstheilungskräfte des Menschen, die durch den Glauben an die Wirkung eines Verfahrens erheblich gestärkt werden können.

Weshalb ich diesen Verfahren jedoch trotzdem skeptisch gegenüber stehe, liegt daran, dass es unter den Vertretern dieser Verfahren (und allgemein unter Menschen mit starker Neigung zur Esoterik) zwei Typen gibt, die mich stören. Die einen sind die Quacksalber und Halsabschneider, die ihr Geld damit verdienen, dass sie verzweifelten Patienten Heilung versprechen (was ein seriöser Vertreter eines Heilberufs nie tun würde) und beispielsweise Krebspatienten von einer dringend nötigen Chemotherapie abraten und somit deren Tod besiegeln. (Alternative Therapien und/oder psychotherapeutische Begleitung bei Krebs sind zusätzlich sinnvoll, aber die alleinige Anwendung ist verantwortungslos). Genauso finde ich es einfach nur unverantwortlich, wenn mancher selbsternannter “Heiler” völlig unzulässige und nachweislich unvalide diagnostische Methoden (d.h. solche, die keine korrekten Aussagen erlauben und deshalb ziemlicher Quatsch sind: Hierzu wird es bald einen eigenen Blogeintrag geben), wie z.B. den “kinesiologischen Muskeltest” anwenden und ihren Patienten schreckliche Angst mit der Aussage einflößen, sie seien von “Erdstrahlen”, Quecksilber oder Ähnlichem belastet. In diesem Sektor wird unglaublich viel Unfug getrieben, und ich habe mehrere Freunde und Bekannte, die auf solche Menschen reingefallen sind und es bitter bereuen.

Der andere Typ sind diejenigen, die zwar kein Kapital aus ihrer Überzeugung schlagen, aber sich zu Missionaren erklärt haben. Die ihre Überzeugung als einzige Wahrheit betrachten und Gegenmeinungen oder abweichende Standpunkte mit der Äußerung abtun: “Du bist nicht offen dafür”. Was solche Leute gut können, ist, alles, was andere machen, zu kritisieren, nur nicht die eigene Überzeugung. Das Problem, dass bei diesen Menschen oft vorliegt, ist, dass sie ihr vermeintliches “Wissen” nicht hinterfragen: Was ist die Quelle von dem, was ich weiß (Buch, Vortrag, Zeitung, Reportage auf Fernsehsender XY…)? Noch viel wichtiger ist aber die Frage: Woher hat der Buchautor, der Journalist oder der Vortragende sein Wissen? Und ist diese Quelle von Wissen glaubwürdig? Und wenn ja, warum? Meistens stammt “Wissen” im esoterischen Bereich letztendlich von irgendwem ab, der sich das irgendwann einmal ausgedacht hat, oder aber von uralten mystisch-spirituellen Schriften, die in ihrer Bedeutung oft reichlich verdreht wurden. Jedenfalls liegt so gut wie nie eine empirische (Erklärung folgt sofort) Fundierung dieses vermeintlichen Wissens vor, oder wenn, dann nur in Form von methodisch so schlechten Studien, dass gültige Aussagen hieraus nicht abgeleitet werden können.

In der Wissenschaft, die sich deratigen Themen beschäftigt, stammt das Wissen aus kontrollierten Studien (das bedeutet “empirisch”), die idealerweise mit verschiedenen Methoden und an verschiedenen Probanden dasselbe herausfinden (was natürlich bedeutet, dass es Wissensarten verschiedener Güte gibt). Jenen “Missionaren” fehlt aber oft die Bildung, um ihr Wissen kritisch zu hinterfragen, was jeder gute Wissenschaftler, der sich der Wissenschaftstheorie Carl Poppers bewusst ist, hingegen tut. Ich betrachte die Fähigkeit, Wissen und dessen Quellen kritisch hinterfragen und deren Glaubwürdigkeit einschätzen zu können, als eine der wichtigsten Kompetenzen, die mir mein Studium vermittelt hat.

D.h., um den Bogen zu schließen, könnte ich jemandem, der mir vorwirft, nicht “offen” für Reiki, “Energiearbeit”, den kinesiologischen Muskeltest usw. zu sein, genau so gut entgegnen, dass er bzw. sie nicht offen ist für wissenschaftliche Erklärungen, und diese Behauptung wäre wesentlich fundierter. Natürlich wäre es vermessen, zu behaupten, dass die Wissenschaft alles auf der Welt erklären kann, und diesen Eindruck will ich auch gar nicht vermitteln. Kein seriöser Wissenschaftler würde dies jemals behaupten. Aber: Die moderne Wissenschaft kann eine gewaltige Menge von Dingen erklären und sehr viele (esoterische) Behauptungen als haltlos entlarven. Und eben, weil ich die Eigenschaften moderner und seriöser Wissenschaft so sehr schätze, sehe ich einen immensen Anlass dazu, ihr mehr zu trauen als Theorien und Erklärungen, denen jede empirische Fundierung fehlt. Wozu brauche ich aus der Luft gegriffene Theorien, wenn es auch wissenschaftlich fundierte, d.h. solche mit “Substanz”, gibt?

Darauf die Thesen desselben Diskussionspartners (A):

  • Argumentation, dass Handauflegen hilft, da jeder dies intuitiv bei sich selbst und anderen tue (Hand auf Bauch bei Bauchschmerzen, kühle Hand an Kopf bei Kopfschmerzen, Mutter legt Hand auf Kind, um es zu beruhigen).
  • Reiki sei eine Form des Energieaustauschs.
  • Besonders sensible Menschen seien in der Lage, Blockaden in Menschen zu spüren und diese durch Handauflegen zu lösen.
  • Reiki schade nicht und diene nur der Entspannung.

Meine erneute Antwort:

Das ist das, was ich meine. Intuitiv ist das alles nachvollziehbar, aber es setzt zwingend voraus, dass man daran glaubt. Natürlich verspüren wir positive Emotionen, wenn uns nahestehende Menschen uns berühren. Das liegt daran, dass angenehme Berührungen einen (größtenteils durch die Evolution bedingten und daher angeborenen) Belohnungswert für uns haben, der im Gehirn über das limbische System und verwandte Strukturen vermittelt wird. Die Folge dessen kann ein tiefer Entspannungszustand sein. Das ist die wissenschaftliche, auf intensiver Forschung basierende Erklärung für unser Empfinden.

Dafür, dass dabei irgendwelche “Energien fließen”, gibt es hingegen keine Hinweise – mit Ausnahme von Infrarotstrahlung (oder mit anderen Worten: Wärmeenergie), wenn die Hand warm ist. Das heißt, es handelt sich um zwei verschiedene Sichtweisen derselben Sache. Nur während die eine auf wissenschaftlichen Befunden basiert, setzt die andere einen Glauben voraus, weil sie ansonsten durch nichts gestützt wird. Natürlich kann das, was bei Reiki gemacht wird, Entspannung erzeugen und z.B. dadurch, dass angespannte Muskeln sich entspannen, Schmerzen reduzieren. Aber dazu braucht es keine “schillernde Story” von irgendwelchen fließenden Energien und einem scheinbar besonders feinfühligen Menschen. “Innere Blockaden” sind wieder ein Teil dieser “Story” bzw. “Legende”, die aufgrund der Schwammigkeit des Begriffs natürlich nie gefunden werden konnten. Esoteriker, denen nicht selten eine entsprechende Bildung fehlt, können einem auch selten sagen, wie diese Blockaden aussehen und wo im Körper sie angesiedelt sein sollen. Wenn eine Person z.B. berichtet, durch Reiki in einem Entscheidungsprozess unterstützt worden zu sein, so wird das sehr wahrscheinlich schlichtweg am allgemeinen Entspannungszustand gelegen haben. Aber der Punkt, um den es mir geht, ist: Um einen solchen herzustellen, braucht es keinen Hokuspokus und keine esoterische “Story”: Andere Entspannungsverfahren wie z.B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen, Meditation oder autogenes Training erzeugen dies auch. Das heißt, Reiki wirkt entspannend – ja, ganz bestimmt. Aber nicht, weil irgendwelche Energien fließen.

Viele (oft selbst ernannte) “Reiki-Experten” behaupten aber noch viel mehr – und verkaufen das Verfahren als das Rundum-Allheilmittel schlechthin. Egal, ob Erkältung, Rückenschmerzen, Krebs, Allergien –  Reiki löst das Problem. Und das ist nun wirklich völliger Unsinn, wie in mehreren Doppelblindstudien eindrucksvoll nachgewiesen haben (ein Übersichtsartikel liegt z.B. von Lee, Pittler und Ernst aus dem Jahr 2008 vor). Die Erkenntnis ist schlichtweg diejenige, dass Reiki, wenn überhaupt, entweder über unspezifische Faktoren (z.B. einen allgemeinen Entspannungszustand) oder nur dann Effekte auf die Gesundheit ausübt, wenn die behandelte Person daran glaubt, dass es wirkt. Der Glaube ist der Motor des Placeboeffekts. Und im Prinzip hat der Diskussionspartner genau dies ja schon in seinem letzten Kommentar selbst gesagt: Es ist egal, ob die Mutter, der Vater, man selbst oder ein “Reiki-Lehrer” einem die Hand auflegt: Die Wirkung ist die gleiche. Oft werden dann (wie weiter unten noch als Beispiel aufgeführt) als vermeintlicher Beweis persönliche Erfahrungen als Beleg für die Wirksamkeit herangeführt (“Ich habe mich nach dem Reiki soooo gut gefühlt”). Nur ist diese Äußerung all den Störeinflüssen unterworfen, die wissenschaftliche Studien eben ausschließen (subjektives Empfinden von lediglich einer Person, mögliche andere Wirkfaktoren wie Umgebung, Atmosphäre, Glaube an das Verfahren, etc., etc. –  für mehr siehe das Beispiel weiter unten).

Ich finde es extrem wichtig, zwischen wissenschaftlichen Erklärungen und solchen, die auf Glauben basieren, zu unterscheiden. Und ich bin sehr dankbar dafür, aufgrund meines Studiums diese beiden Formen unterscheiden und bewerten zu können. Denn die Quellen seines Wissens zu kennen und ihre Glaubwürdigkeit einschätzen zu können, ist meiner Meinung eine Voraussetzung für ein Leben als mündiger Mensch. Und weil ich genau weiß, dass vielen anderen Menschen diese Voraussetzung fehlt (was überhaupt nicht abwertend gemeint ist!), habe ich vor knapp einem Jahr mit dem Schreiben dieses Blogs begonnen, mit dem ich das Ziel verfolge, den Menschen verschiedene Theorien vorzustellen und diese Theorien auch zu bewerten. Natürlich gibt es, wie gesagt, Bereiche, die schlicht kaum oder gar nicht wissenschaftlich erforschbar sind – keine Frage. Bei Phänomenen, für die jedoch schlüssige wissenschaftliche Erklärungen vorliegen (wie z.B. dem Effekt von Handauflegen), sehe ich persönlich jedoch keinen Anlass bzw. keine Notwendigkeit alternativer Theorien, die einen Glauben voraussetzen und aufgrund der wissenschaftlichen Erklärbarkeit im Wesentlichen überflüssig sind. Natürlich setzt das voraus, dass man sich mit diesen Theorien beschäftigt und offen für sie ist. Doch leider zeigt meine Erfahrung, dass die meisten Esoteriker dies nicht sind und wissenschaftliche Erklärungen abwehren. Warum? Wahrscheinlich, weil für sie dann ihre Welt und ihr Weltbild, dem sie sich leidenschaftlich verschrieben haben, zusammenbrechen würde.

Thesen des Diskussionspartners B:

  • Für Reiki bedürfe es keines Glaubens, die Person müsse lediglich zustimmen.
  • Es liege kein Placeboeffekt vor.
  • Begründung dessen: Der Diskussionspartner habe, als dessen kleine Tochter vor Kurzem Verdauungsprobleme gehabt hätte, ihr “Reiki gegeben”, nachdem das Medikament vom Arzt angeblich keine Wirkung gezeigt habe. Die Tochter sei eine Stunde liegen geblieben, und anschließend habe sich die Verstopfung durch Stuhlgang gelöst. Seitdem habe sie keine Verstopfung mehr gehabt.
  • Kinder seien bis zum dritten Lebensjahr sehr eng mit der geistigen Welt verbunden.
  • Es gebe mehr zwischen Himmel und Erde, als die Wissenschaft erklären könne.

Nun, auf diesen Kommentar hin habe ich nur noch auf meine vorherigen Texte verwiesen, weil hieraus ganz klar hervorgeht, dass dieser Diskussionspartner deren Inhalt entweder nicht vernünftig gelesen oder nicht verstanden hat – oder es nicht verstehen möchte. Weshalb ich an dieser Stelle dennoch erneut auf diesen Kommentar eingehen möchte, liegt daran, dass man an ihm so wunderbar anschaulich die gedanklichen Fehler aufzeigen kann, die Esoteriker typischerweise machen.

Widerspruch in nur einem Satz

Ein Glaube an Reiki sei nicht nötig, nur das “Ja” der behandelten Person sei erforderlich. Mit anderen Worten: Wenn die Person nicht offen für Reiki ist, geht es nicht (denn sonst sagt man nicht ja, oder?). Ich gebe zu, streng genommen gibt es noch einen Unterschied zwischen dem Glauben an und der Zustimmung zu etwas, aber hier scheint der mir nicht entscheidend zu sein.

“Beweis” der Wirksamkeit anhand eines Beispiels der eigenen Erfahrung

Der Diskussionspartner führt als Beleg für die Wirksamkeit ein Beispiel aus der eigenen Erfahrung an. Erstens hat Erfahrungswissen eine niedrigere Güte als wissenschaftliches Wissen, weil ersteres etlichen subjektiven Einflüssen unterliegt, während letzteres objektiv ist (bzw. sein sollte, wir wollen ja ehrlich bleiben). Zweitens werden andere Ursachen der verschwundenen Verstopfung völlig außer Acht gelassen (was einem wissenschaftlich denkenden Menschen nicht passieren würde). Dass der Placeboeffekt bei einem drei Jahre alten Kind nicht richtig greifen kann, ist nicht korrekt. Allerdings würde man hierbei eher von einem “Versuchsleitereffekt” sprechen, wobei die Eltern hier die “Versuchsleiter” darstellen. Dieser Effekt besagt, dass die Kinder massiv durch den Glauben und die Zuversicht der Eltern beeinflusst werden, die sie nämlich durchaus mitbekommen (und wodurch nämlich dann die eigene Zuversicht beeinflusst wird) – hiermit hätten wir also eine 1. Erklärung dafür, dass im oben genannten Beispiel die Verstopfung verschwindet. Darüber hinaus gäbe es mindestens noch vier andere Erklärungen dafür, dass die Verstopfung verschwunden ist: (1), dass das Medikament schlichtweg mit Verzögerung gewirkt hat, (2), dass der allgemeine Entspannungszustand die Verdauung reguliert hat, (3), dass die Verstopfung sich mit der Zeit einfach von selbst gelöst hat, (4), dass die Faktoren 1 bis 3 zusammengewirkt haben. Eine 6. Erklärung besteht zudem aus dem so genannten “Kontingenzlernen”, dessen Basis das klassische Konditionieren ist (die Assoziation zweier Reize, Dinge, Ereignisse). Ein Kind lernt sehr schnell, dass mit bestimmten Maßnahmen (z.B. Handauflegen) Linderung verbunden ist – ungeachtet dessen, warum diese Linderung nun genau eintritt.Was all dies zeigen soll: Die Hinzunahme einer schillernden “Story” (fließende Energien…) ist völlig überflüssig, um den scheinbaren Effekt zu erklären – tatsächlich ist das ganze viel nüchterner zu betrachten.

Verwechslung von Glaube und Wissen & fehlendes Hinterfragen der Quelle des vermeintlichen “Wissens”

Die Aussage, dass Kinder in ihren ersten drei Lebensjahren besonders eng mit der “geistigen Welt” verbunden seien, wird einfach als scheinbar feststehende Wahrheit in den Raum gestellt. Dabei wird weder hinterfragt, woher dieses vermeintliche Wissen stammt, noch wie glaubwürdig dieses ist – es wird nicht einmal eine Quelle angegeben. Meiner Vermutung nach handelt es sich um eine Aussage, die der Diskussionspartner irgendwann einmal von anderen Esoterikern oder aus einem entsprechenden Buch aufgeschnappt und dann unreflektiert und unkritisch aufgesaugt hat, weil es mit seinem Weltbild übereinstimmt und weil er es glauben will. Korrekt und für mich völlig akzeptabel wäre es, wenn der Diskussionspartner diese Aussage beginnen würde mit: “Ich glaube, dass…”. Dies aber als feststehende Wahrheit darzustellen, ist hingegen grober und dreister Unfug. Daher: Verwechslung von Glaube und Wissen. Oft argumentieren Esoteriker auch damit, man solle doch mal den “Verstand abschalten” und “auf seine Gefühle hören” – denn diese würden einem offenbaren, was wahr ist. Leute, die an esoterische Theorien nicht glauben, werden dann schnell als “emotional inkompetent” abgetan. Nun, zunächst einmal ist die Unterscheidung zwischen Verstand (Kognition) und Gefühl (Emotion) nicht haltbar, weil sie so stark ineinander verwoben sind, dass keiner ohne den anderen existieren kann (siehe oben). Deshalb kann man seinen Verstand auch nicht “abschalten”. Außerdem sprechen wir hier über eine hochgradig subjektive Quelle von Wissen – und glaubwürdige Quellen von Wissen müssen objektiv, d.h. von Außenstehenden überprüfbar sein.

Beurteilung von dem, was Wissenschaft leisten kann, ohne sich auch nur ansatzweise damit auszukennen

Der pauschale Satz “Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als man mit dem Verstand/als die Wissenschaft erklären kann” (der an und für sich völlig richtig ist) wird von Esoterikern sehr gerne verwendet, um ihren Glauben zu rechtfertigen. In der Mehrzahl der Fälle haben diese Leute jedoch gar keine Ahnung davon, was Wissenschaft überhaupt ist, welche Methoden sie anwendet, warum sie objektiv ist, warum sie die Quelle von Wissen höchster Güte ist ? und was sie überhaupt zu bieten hat. Sie wird meiner Ansicht nach als Quelle von Wissen abgelehnt, weil jene Menschen sie entweder nicht verstehen oder sie nicht in das schillernd-geheimnisvolle “esoterische Weltbild” passt, das mit logischen, schlüssigen Erklärungen und Befunden viel zu langweilig und unspektakulär wäre (Ich bitte um Verzeihung für das bisschen Polemik). Aber eine Aussage darüber zu treffen, was Wissenschaft leisten kann und was nicht, ist schlichtweg nicht möglich, wenn man sich mit Wissenschaft überhaupt nicht auskennt – es sei denn, man möchte sich unbedingt lächerlich machen.

To put everything into a nutshell – mein Standpunkt zu Esoterik & Co. in maximaler Kürze

Ich habe überhaupt gar nichts dagegen, wenn Menschen an Dinge glauben, an die ich nicht glaube. Jeder soll glauben, woran sie oder er möchte. Es ist mir völlig egal, ob Menschen an Erdstrahlen, Reiki, Energiearbeit, Kinesiologie, Graphologie, Physiognomie, Astrologie, Kartenlegen, Gott, frühere Leben, Aliens, UFOs, Engel, Spaghettimonster, das jüngste Gericht oder eine gigantische Teekanne in den Tiefen des Weltalls glauben. Solange sie sich dessen bewusst sind, dass sie daran glauben. Vier Dinge kritisiere ich hingegen sehr scharf:

  • Wenn Menschen eben meinen, Dinge zu wissen, obwohl für ihre Überzeugungen keinerlei Belege existieren – und sie sich eben nicht darüber im Klaren sind, dass sie glauben und nicht wissen.
  • Wenn Menschen die Quelle ihres vermeintlichen Wissens nicht hinterfragen und kritisch reflektieren, sondern es als die einzig richtige Wahrheit betrachten und pausenlos versuchen, andere zu dieser “Wahrheit” zu bekehren.
  • Wenn Menschen das Potenzial der Wissenschaft leugnen, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert.
  • Wenn solche Menschen in Heilberufen arbeiten und Verantwortung für Patienten übernehmen, denen sie völlig haltlose Diagnosen stellen und Therapien anbieten, die entweder wirkungslos oder sogar schädlich sind, bzw. ihren Patienten von dringend nötigen traditionellen Therapien abraten.

Ich will die Wissenschaft nicht glorifizieren. Ich kenne die wissenschaftstheoretischen Beiträge von Popper, Hume, Platon, Sokrates, etc. Kein Wissen ist jemals 100% sicher, wenngleich es immer sicherer wird, je häufiger verschiedene Forscher anhand verschiedener Stichproben mit verschiedenen Methoden dasselbe herausfinden (Das nennt man Replikation). Und auch wenn keine Quelle von Wissen zu 100% sicher ist, so ist die Wissenschaft dennoch mit gewaltigem Abstand die Quelle von Wissen mit der höchsten Güte und der meisten Substanz dahinter, weil dieses Wissen auf Befunden, also auf von Forschern gemachten objektiven Entdeckungen beruht – und eben nicht nur auf Glaubensüberzeugungen.

Ich bin zweifelsohne auch der Auffassung, dass es Dinge gibt, die die Wissenschaft nie endgültig erklären können wird, z.B. die Frage nach der Entstehung des Universums, die Frage nach dem Leben nach dem Tod bzw. einer unsterblichen Seele – oder die Frage danach, wie aus der neuronalen Aktivität in unserem Gehirn etwas wie “Bewusstsein” entsteht. Aber die Wissenschaft kann eine unglaubliche Vielzahl von Dingen bereits schlüssig erklären, weshalb zusätzliche, unfundierte, “schillernde esoterische Theorien” (in meinen Augen) an dieser Stelle vollkommen überflüssig sind. Der Glauben sollte meiner Meinung nach an den Stellen einsetzen, an denen die Wissenschaft an ihre Grenzen kommt. An allen anderen Stellen hat er – meinem Standpunkt nach – nichts zu suchen. Und wenn man an diesen anderen Stellen trotzdem etwas anderes glauben will, weil man die Wissenschaft (aus welchen Gründen auch immer) ablehnt, dann soll man das von mir aus tun, solange man dabei einräumt, dass man glaubt – und nicht weiß.

© Christian Rupp 2013

Wahre Wirksamkeit oder nur Placeboeffekt? Wie die Wissenschaft dieser Frage auf den Grund geht.

Wie wird eigentlich untersucht, ob eine Heilmethode, sei es ein Medikament, Psychotherapie oder Akupunktur, wirksam ist? Im Idealfall werden hierzu so genannte so genannte randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt.

Dabei handelt es sich um ein klassisches und wissenschaftlich sehr hochwertiges Design (so bezeichnet man im Allgemeinen den Aufbau solcher Studien) von klinischen Studien in der Medizin und Psychologie, welches ziemlich eindeutige Schlussfolgerungen bezüglich der Wirksamkeit von Heilmethoden erlaubt, wenn es denn wirklich objektiv durchgeführt wird (was unter Umständen nicht gegeben ist, wenn z.B. ein Pharmaunternehmen den Auftrag gibt und die erwünschten Ergebnisse schon vorher feststehen).

Sie ist idealerweise folgendermaßen aufgebaut: Eine Gruppe von Patienten, die die zu testende Behandlung (Medikament oder genau vom Ablauf und Inhalt her festgelegte Psychotherapie) erhält, wird vor und nach der Behandlung mit einer zweiten Gruppe von Patienten verglichen, die mit der ersten Gruppe hinsichtich wichtiger Variablen (wie vor allem der Diagnose, z.B. Depression) übereinstimmt, aber die betreffende Behandlung nicht erhält. Um aber am Ende wirklich den Schluss ziehen zu können, dass eine etwaige Verbesserung in der ersten Gruppe wirklich auf die Behandlung zurückzuführen ist, müssen einige wichtige Aspekte bei der Durchführung beachtet (bzw. kontrolliert) werden, welche im Folgenden vorgestellt werden sollen:

Randomisierung

Die (natürlich freiwillig) teilnehmenden Patienten werden per Zufall einer der Gruppen jeweils gleicher Größe zugewiesen, damit vorab bestehende systematische Unterschiede zwischen den Gruppen, die die Ergebnisse beeinflussen könnten, ausgeschlossen werden können. So ist es z.B. wichtig, dass die Patienten sich nicht aussuchen dürfen, in welche Gruppe sie lieber möchten (z.B. wenn medikamentöse mit Psychotherapie verglichen wird), da man aus wissenschaftlichen Studien weiß, dass alleine die Überzeugung, durch das jeweilige Mittel geheilt zu werden, zu eben dieser beitragen kann. Das ist natürlich schön für den Patienten – wissenschaftlich gesehen ist es aber ein Hinderniss, weil man am Ende nicht wüsste, ob die Wirkung von Medikament XY nur auf eben diese positive Wirkungsüberzeugung zurückzuführen ist. Idealerweise vergleicht man nicht nur zwei Gruppen miteinander, sondern drei, und zwar die folgenden:

Experimentalgruppe

Diese Gruppe von Patienten erhält die Behandlung, deren Wirksamkeit überprüft werden soll.

Kontrollgruppe ohne Behandlung

Diese Gruppe erhält keine Behandlung. Ihre Funktion besteht darin, ausschließen, dass die vermeintliche Wirkung nicht daher rührt, dass die Beschwerden über die Zeit auch von selbst verschwinden. Ihr Nachteil ist der, dass eine Placebowirkung der Behandlung nicht ausgeschlossen werden kann. Daher gibt es noch (entweder alternativ hierzu oder zusätzlich) die:

Placebo-Kontrollgruppe

Diese Gruppe erhält eine Placebo-Behandlung, bei Medikamenten z.B. eine Traubenzuckertablette, die natürlich genau so aussieht wie das echte Präparat. Bei Psychotherapie ist das natürlich schwieriger umzusetzen, aber nicht unmöglich. So bestünde, wenn eine neue spezifische Therapietechnik (z.B. eine bestimmte Form von Exposition bei Angststörungen) getestet werden soll, z.B. die Placebo-Behandlung in einer unspezifischen Therapieform (empathischer, verständnisvoller Therapeut, der aber ansonsten nichts tut). An dieser Stelle sei angemerkt, dass man, wie immer beim Placebo-Effekt, hierbei natürlich eine Wirkung (im Sinne einer Symptomverbesserung) erwartet, aber eben keine so große wie in der Experimentalbedingung. Die Funktion der Placebo-Kontrollgruppe ist es also, ausschließen, dass die vermeintliche Wirkung einer Behandlung darauf zurückzuführen ist, dass der Patient an die Wirkung glaubt bzw. eine Wirkung erwartet. Denn dass dieser Effekt in nicht unbedeutendem Ausmaß besteht, weiß man schon seit Langem. Ganz ausschließen kann man diesen Effekt jedoch nicht, da der Patient meistens mitbekommt, in welcher Bedingung er sich befindet. Lösen kann man dies nur durch eine “doppelte Verblindung”, die weiter unten erklärt wird.

Vortest und Nachtest

Das Ausmaß der Beschwerden wird vor und nach der Behandlung mit dafür geeigneten, standardisierten (Diagnose-)instrumenten gemessen. Idealerweise geschieht dies durch Personen, die den Patienten nicht kennen und auch nicht wissen, in welcher der zwei (oder drei) verschiedenen Gruppen er sich befindet. Man sagt auch, diese Person sei diesbezüglich “blind” oder “verblindet”. Dies hat den Sinn, dass die bewertende Person somit bei der Einschätzung der Symptomatik nicht voreingenommen sein kann (in dem Sinne: “Der ist in der Experimentalgruppe, dem sollte es besser gehen”).

„Doppelblindheit”

…meint die „Blindheit“ der Versuchsleiter und der Patienten. Das bedeutet, dass weder Patient noch Versuchsleiter weiß, in welcher der drei Gruppen der Patient sich befindet. Der Patient nicht, damit Verbesserungen der Beschwerden nicht auf seine Erwartungen zurückzuführen sind, der Versuchsleiter nicht, weil er sonst voreingenommen beim Bewerten der Verbesserung im Nachtest sein kann oder durch sein voreingenommenes Verhalten falsche Antworten des Patienten auslösen kann (der so genannte Rosenthal-Effekt). Eine Verblindung des Versuchsleiters (der dann aber nicht mit dem durchführenden Therapeuten übereinstimmen darf) ist bei solchen Studien meistens gegeben, eine Verblindung des Patienten ist bei Psychotherapiestudien im Gegensatz zu Medikamentenstudien meist nicht durchführbar, weil der Patient schnell erkennen kann, ob er sich in der Experimental- oder der Kontrollgruppe befindet (insbesondere, wenn die Kontrollgruppe gar keine Behandlung erhält).

Wenn all diese Kriterien erfüllt sind und nur in der Experimentalgruppe eine signifikante (d.h. statistisch nicht durch Zufall erklärende) Verbesserung auftritt, kann die Wirkung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf die eingesetzte Behandlung zurückgeführt werden, und eben nicht auf Placeboeffekte oder eine Von-selbst-Verbesserung (auf Fachchinesisch: “Spontanremission”).

“Randomised Controlled Trials”

Diese Form von Studie wird nicht nur einmal durchgeführt, sondern direkt an mehreren Stichproben (d.h. Patientengruppen), daher die Bezeichnung „Randomised Controlled Trials“, kurz „RCT“, bzw. auf Deutsch “Randomisierte Kontrollierte Studie”. Auf je mehr Personen sich eine solche Wirksamkeitsstudie bezieht, umso höher die Aussagekraft. Weil es ethisch natürlich heikel ist, dass dieses Studiendesign Patienten in der Kontrollgruppe benachteiligt, wird dieses Problem übrigens so gehandhabt, dass jene Patienten im Anschluss an die Studienphase das Angebot erhalten, dieselbe (wahrscheinlich wirksamere) Behandlung wie die Experimentalgruppenpatienten zu in Anspruch zu nehmen.

Was ist gegen den Placeboeffekt einzuwenden?

Mit der beschriebenen Sorte von Studien konnte z.B. vielfach gezeigt werden, dass manche alternativen Heilmethoden wie Akupunktur oder „Geistheilung“ (wenn überhaupt) nur einen Placeboeffekt hervorrufen. Studien, die scheinbar deren Wirksamkeit belegen, erfüllen nicht die oben genannten Kriterien und sind somit aus wissenschaftlicher Sicht nicht zu Wirksamkeitsschlussfolgerungen geeignet, weil sie keine Vorkehrungen zum Ausschluss alternativer Erklärungen für eine etwaige Verbesserung der Beschwerden getroffen haben. Dem gegenüber sehen zahlreiche Formen der Psychotherapie (vor allem die kognitive Verhaltenstherapie, weniger die klassische Psychoanalyse), die eine “echte”, über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung aufweisen und hinsichtlich des Verbesserungseffektes absolut mit medizinischen Eingriffen mithalten können oder diese sogar übertrumpfen.

Auch wenn ich diese Form von Forschung als sehr wichtig erachte, um die Qualität in unserem Gesundheitswesen zu gewährleisten, bleibt am Ende die Frage, ob es nicht eigentlich egal ist, ob eine Methode durch sich selbst oder durch den Glauben an sie (Placeboeffekt) wirkt. Denn was die Psychologie auch seit Langem weiß: Glauben kann Berge versetzen. So konnte sogar  z.B. in Studien mit bildgebenden Verfahren (fMRT) gezeigt werden, dass eine Placebopille im Gehirn die gleichen schmerzreduzierenden Prozesse auslöst wie eine echte Schmerztablette. Und dass manch eine Kopfschmerztablette viel schneller wirkt als es rein physiologisch möglich ist, kennen wahrscheinlich die meisten. Die Gefahr des Placeboeffekts liegt meiner Meinung nach woanders: Er öffnet auch den Weg für Betrüger und Quaksalber jeglicher Art, die mit der Gutgläubigkeit der Menschen ihr Geld verdienen. Und deshalb ist es in meinen Augen wirklich ein Segen, dass man derartige Behandlungen auf diese Weise ganz genau unter die Lupe nehmen kann.

© Christian Rupp 2013