Couch & Klemmbrett: Wie Film & Fernsehen die Psychologie zu einem Heilberuf mach(t)en

Anders als bei den drei zurückliegenden Einträgen bilden die Grundlage von diesem mehrere Diskussionsrunden, an denen ich im Rahmen einer mit dem schrecklichen Namen “World Café” titulierten Lehrveranstaltung teilgenommen habe. Es ging weder um die Welt, noch gab es Kaffee, aber trotzdem kamen wir gut ins Gespräch, und es war interessant, Erfahrungen und Sichtweisen auszutauschen. Die erste dieser Diskussionsrunden beschäftigte sich mit der Frage, wie man als Psychologe auf Vorurteile bzgl. dieses Berufsbilds reagiert und welches öffentliche Bild der Psychologie wir uns wünschen bzw. erzeugen möchten. Neben den Punkten, auf die ich in vorherigen Einträgen bereits eingegangen bin (Aufklärung in der Schule über Psychologie als Naturwissenschaft) gab es hierbei einige weitere, meiner Meinung nach interessante Denkanstöße. Zum einen haben wir uns – mit Bezug auf den sehr häufigen Kommentar: „Oh, du studierst Psychologie, dann muss ich ja jetzt aufpassen, was ich sage“ – längere Zeit darüber unterhalten, ob dieses „Analysieren-Couch-Image“ und die damit verbundene Angst der Menschen, von ihrem Gegenüber „durchschaut“ zu werden, eventuell typisch für Deutschland sind, da hier (anders z.B. als in den USA, wo immer schon Lerntheorien dominierten) der Einfluss der Psychoanalyse sensu Freud überproportional groß war.

Direkt damit einher geht natürlich das Missverständnis, das sich in der Gleichsetzung von Psychologie und klinischer Psychologie wiederfindet und somit gleichermaßen die Verwechslung dieser Wissenschaft mit einem Heilberuf erklärt. Im Zuge dessen erschien uns aber hinsichtlich der Ursache des verzerrten öffentlichen Bildes vor allem die Rolle von Film, Fernsehen und Nachrichtenmedien als zentral. Zum einen, da Psychologen in Filmen und Fernsehserien typischerweise mit immer wiederkehrenden äußerlichen (Brille, Klemmbrett, obligatorisches Couch-Mobiliar), charakterlichen (weitgehende Skurrilität bis hin zum selbst stark ausgeprägten Neurotizismus) und Verhaltensmerkmalen (analytischer Blick, analytische Interpretationen, Rolle des Ratgebers, dem man seine Probleme schildert) ausgestattet werden. An dieser Stelle sei übrigens angemerkt, dass in der Regel hierbei keine Unterscheidung vorgenommen wird zwischen Psychologen, Psychiatern und Psychotherapeuten, was der beschriebenen Verzerrung noch überdies zuträglich ist. In Nachrichtenformaten hingegen findet sich ein anderes Phänomen: Wann immer (mehr oder weniger seriös und angemessen) von (an den jeweiligen Themen deutlich als solchen erkennbaren) psychologischen Forschungsergebnissen berichtet wird, wird grundsätzlich unterschlagen, dass es wissenschaftlich tätige Psychologen waren, die diese Studie durchgeführt haben. Stattdessen, so fast immer der Wortlaut, heißt es: „Forscher der Universität XY haben herausgefunden, dass…“ (wenn nicht sogar noch das Wort „bewiesen“ anstelle von „herausgefunden“ Verwendung findet). Woher sollen Laien also wissen, dass diese Wissenschaftler Psychologen sind und dass Psychologen nicht nur analytisch ausgerichtete Psychotherapeuten sind? Man kann ihnen im Grunde keinerlei Vorwurf machen.

In Bezug auf die Frage, wie man bei Konfrontation mit diesen enorm hartnäckigen Fehlvorstellungen reagieren kann/sollte/möchte, reichte die Spannbreite der diskutierten Möglichkeiten von der geduldigen, gebetsmühlenartigen Erläuterung der Unangemessenheit dieser Vorstellungen über die (je nach Sympathie zum Gegenüber) Nutzung der beschriebenen Angst vor dem Analysiertwerden – bis hin zum einfachen Umdrehen und Gehen. Ich selbst muss sagen, dass ich es mittlerweile mehr als leid bin, meinen Freunden und Verwandten (nicht meinen engeren Familienangehörigen, die durch meine ältere Schwester und mich bereits genügend „Psychoedukation“ erfahren haben) immer und immer wieder zu erklären, dass mein Studium nicht das Erlernen von Gedankenlesen beinhaltet und sich in unserem Institutsgebäude kaum eine einzige Couch befindet. Noch mehr stören mich aber tatsächlich zwei weitere Dinge, und zwar zu allererst die Tendenz eben solcher Mitmenschen, mein gesamtes Verhalten (von der Art der Fragen bis hin zur Sitzhaltung auf einem handelsüblichen Stuhl) im Lichte meines (angestrebten) Berufes zu deuten – oder sollte ich lieber sagen: im Lichte des Berufsbilds, das auf mich projiziert bzw. mir unterstellt wird?

Der zweite Aspekt ist derweil noch direkter mit jenen verzerrten Vorstellungen verbunden und schließt im Grunde nahtlos an die Gleichsetzung von Psychologie und klinischer Psychologie an. Was ich hiermit meine, ist die radikale Unterschätzung der Vielfalt dieses Fachs und die damit verbundene Nicht-Zuschreibung von Kompetenzen und Wissen, die Psychologen in Wirklichkeit aber gerade auszeichnen und sie von anderen Disziplinen wie z.B. der Pädagogik, aber auch der Medizin, abgrenzen. Oft habe ich bei mir persönlich sogar den Eindruck, dass mich diese Nicht-Zuschreibung noch mehr stört als die geschilderten (falschen) Zuschreibungen. Die Bereiche, auf die ich mich hier explizit beziehe, umfassen einerseits methodische Kenntnisse (insbesondere statistisch-mathematischer Art und solche bzgl. des Designs von Untersuchungen im Allgemeinen) und zum anderen eine Reihe von Wissensbereichen, die genuine Domänen der Psychologie darstellen, z.B. das Thema Intelligenz. Am Beispiel der Intelligenzforschung wird ganz besonders anschaulich, wie groß die Diskrepanz zwischen dem Experten- und dem Laienbild der Psychologie tatsächlich ist – ist es doch so, dass die Intelligenzforschung von Expertenseite als eines der größten Flaggschiffe der Psychologie angesehen wird, während der durchschnittliche Laie einen Intelligenztest (aber auch allgemein das Thema Testkonstruktion) in der Regel nicht mit der Psychologie in Verbindung bringen würde. Ähnliches gilt für den großen Bereich der Neurowissenschaften bzw. der Biologischen/Allgemeinen Psychologie, der, obgleich er ein interdisziplinäres Forschungsfeld darstellt, einen bedeutenden Teil des Psychologiestudiums ausmacht, was kaum ein Laie für gewöhnlich bedenkt.

Doch, wie im vorherigen Eintrag bereits im Fazit formuliert: Da sich die Situation mittelfristig eher wenig ändern wird, sind Gelassenheit und vielleicht auch ein Stück Gleichgültigkeit gefragt. Bis dahin werde zumindest ich, sollte mir nicht irgendwann doch der Geduldsfaden reißen, weiter versuchen, meine Freunde sowie (über diesen eigens zu diesem Zweck eingerichteten Blog) die Öffentlichkeit zumindest ein Stück weit darüber aufzuklären, was Psychologie ist – und was nicht.

© Christian Rupp 2014

 

Warum Psychologie mehr mit Mathematik als mit einer Couch zu tun hat

Die landläufige Ansicht ist die, dass man, wenn man Psychologie studiert, vor allem lernt, andere Menschen zu analysieren und dass man in beruflicher Hinsicht grundsätzlich nur mit psychisch Kranken (“Verrückten”) zu tun hat. Nun, liebe Leserin bzw. lieber Leser – dies könnte nicht weiter an der Realität vorbei gehen. Was jedoch zutrifft, ist, dass auch ein sehr großer Teil derjenigen, die sich nach dem Abitur für ein Psychologiestudium entscheiden, diese Entscheidung auf Basis eines ähnlich falschen Bildes trifft und sich dann im ersten Semester wundert, warum irgendwie niemand ihnen etwas von Traumdeutung von verdrängten Bedürfnissen erzählt.

Wenn man sich die Inhalte des Psychologiestudiums ansieht, stellt man fest: Knapp die Hälfte der Lehrinhalte besteht aus Methodenlehre, Statistik, experimentellen Forschungspraktika und Dingen wie Testtheorie, Fragebogenkonstruktion und wissenschaftlicher Datenanalyse – mit anderen Worten: aus jeder Menge Mathematik und Computerarbeit. Zudem muss man das Studium mit einer eigenen wissenschaftlichen Arbeit (der Bachelor- und Masterarbeit oder im alten Diplomstudiengang der Diplomarbeit) abschließen, für die jeweils eine eigene empirische Untersuchung durchgeführt und ausgewertet werden muss. Wozu nun das ganze? Nun, wie schon im vorausgehenden Artikel beschrieben, ist die Psychologie eine empirische Naturwissenschaft, und ein wesentliches Hauptziel des Studiums besteht darin, die Studierenden zu Naturwissenschaftlern auszubilden – mit allem, was dazu gehört. Konkret bedeutet dies zweierlei: die Kenntnis wissenschaftlicher Methoden und Kenntnisse in der statistischen Datenanalyse.

Erstens gilt es (grob gesagt), sich Expertise darüber anzueignen, wie man welchen Forschungsfragen auf den Grund gehen kann. Hierzu gehört die komplette Gestaltung einer solchen Studie bzw. eines solchen Experiments, aus dem man dann am Ende auch tatsächlich aussagekräftige Schlussfolgerungen ziehen kann. Und das tatsächlich hinzubekommen, ist alles andere als leicht und rechtfertigt durchaus, dass nicht nur in den Methodenfächern selbst (die dann so schöne Namen haben wie “Forschungsmethoden der Psychologie”, “Versuchsplanung” oder “experimentelles Forschungspraktikum”), sondern in allen Fächern Wert darauf gelegt wird, die Prinzipien guter psychologischer Forschung deutlich zu machen. Im Hinblick auf das, was man bei der Planung eines psychologischen Experiments alles falsch machen kann, sind vor allem die interne und externe Validität zu nennen. Nehmen wir als Beispiel ein Experiment, in dem der Einfluss der Arbeitsbelastung auf das Stressempfinden von Probanden untersucht werden soll (eine ganz typische psychologische Fragestellung: Was ist der Einfluss von X auf Y?).

Interne Validität: Welchen Einfluss untersuche ich?

Die interne Validität ist gegeben, wenn Veränderungen in der abhängigen Variablen (Stressempfinden) ausschließlich auf die experimentelle Manipulation (also vom Versuchsleiter gesteuerte Veränderung) der unabhängigen Variablen (Arbeitsbelastung) zurückzuführen sind. Wenn aber in der Situation des Experiments noch andere Einflüsse vorhanden sind (so genannte Störvariablen), z.B. zusätzlicher Druck durch andere Probanden im selben Raum, dann weiß man ganz schnell schon nicht mehr, worauf etwaige Veränderungen der abhängigen Variablen (Stressempfinden) zurückzuführen sind: auf die experimentell kontrollierte Arbeitsbelastung oder auf die Anwesenheit der anderen Probanden? In diesem Fall ist die Lösung einfach: Jeder Proband muss einzeln getestet werden. Danach wären jedoch immer noch Einflüsse von anderen Störvariablen möglich: So könnte es z.B. eine Rolle spielen, ob der Versuchsleiter sich den Probanden gegenüber eher kühl-reserviert oder freundlich-motivierend verhält (ein so genannter Versuchsleiter-Effekt). Die Lösung hierfür wären standardisierte Instruktionen für jeden Probanden. Was ich hier beschreibe, sind, an einem sehr einfachen Beispiel dargestellt, typische Vorüberlegungen, die man vor der Durchführung einer psychologischen Studie unbedingt durchgehen sollte, um nicht am Ende ein Ergebnis ohne Aussagekraft zu haben. Wie ihr euch sicher vorstellen könnt, wird das ganze umso komplizierter, je schwieriger und spezifischer die Forschungsfrage ist. Besonders in der kognitiven Neurowissenschaft, wo es um die Untersuchung von Prozessen im Gehirn geht, kann dies schnell extreme Komplexitätsgrade annehmen. Was man daher unbedingt braucht, ist das Wissen aus der Methodenlehre, kombiniert mit spezifischem Wissen über dasjenige Fachgebiet, in dem man gerne forschen möchte.

Externe Validität: Gilt das Ergebnis für alle Menschen?

Die externe Validität ist derweil gegeben, wenn (die interne Validität vorausgesetzt), das Ergebnis der Studie verallgemeinerbar ist, d.h. repräsentativ. Dies ist vor allem eine Frage der Merkmale der Stichprobe (die Gruppe von Probanden, die man untersucht). Vor allem interessiert dabei deren Größe (bzw. Umfang), die insbesondere aus statistischer Sicht zentral ist, sowie deren Zusammensetzung. So leuchtet einem ziemlich gut ein, dass das Ergebnis einer Studie nur dann Aussagen über alle Menschen ermöglicht, wenn die Stichprobe auch repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist – also z.B. nicht nur weibliche Studierende einer bestimmten Altersklasse und einer bestimmten sozialen Schicht enthält. Tatsächlich konnte allerdings für sehr viele psychologische Merkmale gefunden werden, dass sie überraschend unabhängig von solchen Unterschieden sind, sodass die externe Validität häufig eine untergeordnete Rolle spielt (was allerdings auch mit daran liegt, dass es sehr aufwändig und teuer ist, repräsentative Stichproben zusammenzusetzen – Psychologiestudierende sind aufgrund der guten Verfügbarkeit einfach dankbare Versuchspersonen:-)).

Die operationale Definition: Messe ich, was ich messen will?

Neben interner und externer Validität ist auch die operationale Definition ein Punkt, an der sich gute Forschung von schlechter trennt. Gemeint ist hiermit die Übersetzung der abstrakten Variablen (unabhändige und abhängige) in konkrete, messbare Größen. Um zu meinem Beispiel von oben (Einfluss von Arbeitsbelastung auf Stressempfinden) zurückzukehren, müsste man sich also überlegen, wie man die Arbeitsbelastung und das Stressempfinden misst. Dies ist ein Punkt, der auf den ersten Blick vielleicht trivial erscheint und der einem Laien, wenn er über die Logik der Studie nachdenkt, wahrscheinlich auch nicht auffallen wird, der aber ebenfalls von zentraler Bedeutung für die Aussagekraft der Studie ist. Ebenso wie die Stichprobe repräsentativ für die Bevölkerung sein sollte, sollten die gemessene Größe (abhängige Variable) und die manipulierte Größe (unabhängige Variable) repräsentativ für das Konstrukt (Arbeitsbelastung, Stress) sein, das sich dahinter verbirgt. Die Arbeitsbelastung lässt sich noch recht einfach operational definieren – als Menge an Arbeitsaufträgen pro Stunde zum Beispiel. Aber wie sichert man, dass alle Aufträge auch wirklich gleich aufwändig sind und den Probanden gleich viel Zeit kosten? Dies ist eine Herausforderung für die Versuchsplaner. Das Stressempfinden stellt eine noch größere Herausforderung dar. Man könnte natürlich eine Blutprobe nehmen und die Konzentration des Cortisols (eines unter Stress ausgeschütteten Hormons) bestimmen. Das gibt aber nicht unbedingt den subjektiv empfundenen Stress wieder. Man könnte eben diesen mit einem eigens dafür konstruierten Fragebogen messen, der natürlich auf seine psychometrischen Gütekriterien hin überprüft werden muss (mit wie viel Aufwand und wie viel Rechnerei das verbunden ist, können sie hier nachlesen). Oder aber man lässt Fremdbeobachter den Stress der Probanden anhand deren Verhaltens einschätzen. Hierfür muss wiederum gesichert werden, dass die verschiedenen Beobachter ihre Bewertungen anhand desselben, auf beobachtbaren Verhaltensweisen basierenden Systems vornehmen und nicht irgendwelche subjektiven Einschätzungen vornehmen (das Kriterium der Objektivität). Was ich hoffe, hieran veranschaulicht zu haben, ist, dass psychologische Forschung weder trivial noch einfach ist, denn der Teufel liegt im Detail. Und von diesen kleinen Teufeln gibt es jede Menge, die man nur mit der nötigen wissenschaftlichen Expertise umgehen kann.

Statistik: Zufall oder nicht?

Die Statistik als Teilgebiet der Mathematik verdient sehr viel mehr, mit “Psychologie” in einem Atemzug genannt zu werden, als das Wort “Couch”. So komplex das Thema ist, mit dem Psychologiestudierende sich eine ganze Reihe von Semestern herumschlagen müssen, so kurz und verständlich lässt sich der Zweck erklären. Denken Sie zurück an die typischen Forschungsfragen, die die Psychologie bearbeitet. Meistens geht es darum, den Zusammenhang zwischen zwei Variablen (z.B. Intelligenz & Arbeitserfolg, siehe vorheriger Artikel) zu berechnen, eine Variable durch eine andere vorherzusagen oder im Rahmen eines Experiments systematisch den Einfluss einer unabhängigen auf eine abhängige Variable zu untersuchen. Auch hier hinterfragt der Laie typischerweise nicht, wie das geschieht – wie Forscher z.B. darauf kommen, zu behaupten, “Killer”-Spiele würden die Aggression des Spielers erhöhen. Nun, dies ist einerseits eine Frage der wissenschaftlichen Methode, wie ich oben ausführlich beschrieben habe. Doch nach dem Durchführen der Studie hat man einen Haufen Daten gesammelt – und der muss ausgewertet und analysiert werden. Zum Analysieren werden die Daten derweil nicht auf die Couch gelegt, sondern in den Computer eingegeben, konkret in typischerweise eines der beiden Programme “SPSS” oder “R”. Diese Programme ermöglichen es, für alle möglichen Formen, in denen Daten vorliegen können (und das sind sehr viele), statistische Maße zu berechnen, die den Zusammenhang zweier Variablen oder den Einfluss von einer Variablen auf die andere abbilden. Zum Fachjargon gehören bei Psychologen unter anderem (um einfach mal ein paar Begriffe ungeordnet in den Raum zu werfen) die Korrelation (von allen noch das nachvollziehbarste Maß), die multiple, logistische, hierarchische oder Poisson-Regression, das odds ratio, Kendall’s Tau-b, die Varianzanalyse oder ANOVA, das allgemeine und generalisierte lineare Modell, Faktorenanalysen, Strukturgleichungsmodelle, Survivalanalysen und viele, viele mehr.

Die Berechnung all dieser Maße ist der eine Zweck der Statistik. Der andere ist die Überprüfung der statistischen Signifikanz, die auf der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Kenntnis ganz bestimmter Wahrscheinlichkeitsverteilungen beruht. Platt übersetzt ist ein Ergebnis einer Studie dann statistisch signifikant, wenn es nicht durch den Zufall zu erklären ist. Hierzu stellen wir uns einmal die allereinfachste Form eines psychologischen Experiments vor: den Vergleich von zwei Gruppen A und B, die sich nur anhand eines einzigen Merkmals unterscheiden – der experimentellen Manipulation der unabhängigen Variablen (z.B. Therapie ja oder nein), deren Einfluss auf eine abhängige Variable (z.B. Angst vor Spinnen) untersucht werden soll. Nach der Therapie vergleicht man A und B hinsichtlich ihrer Angst vor Spinnen und stellt fest, dass Gruppe A, die die Therapie erhalten hat, weniger Angst hat als Gruppe B, die keine Therapie erhalten hat (einen ausführlichen Artikel über die Art und Weise, wie die Wirksamkeit von Psychotherapie untersucht wird, finden Sie hier). Ein Laie würde jetzt wahrscheinlich sagen, dass die Therapie wirksam ist, vielleicht in Abhängigkeit davon, wie groß der Unterschied zwischen A und B ist. Das Tolle, das uns die Statistik ermöglicht, ist nun, zu überprüfen, ob der gefundene Unterschied zwischen den Gruppen signifikant ist, d.h. nicht durch den Zufall erklärt werden kann, der ja mitunter so einiges erklären kann. So berechnet man die konkrete Wahrscheinlichkeit dafür, dass das gefundene Ergebnis (z.B. der Gruppenunterschied zwischen A & B) durch reinen Zufall zustande gekommen ist, ohne das ein wahrer Unterschied (bzw. Effekt) vorliegt. Beträgt diese Warscheinlichkeit unter 5% (manchmal auch unter 1%), schließt man den Zufall als Erklärung aus. Achtung: Diese Festlegung der 5% oder 1%-Grenze (des so genannten Signifikanzniveaus) ist eine Konvention, keine naturgegebene Regel. Wenn der Stichprobenumfang groß genug ist (ein wichtiger Faktor bei der Überprüfung der Signifikanz), können übrigens auch schon kleine Effekte (z.B. Gruppenunterschiede) statistisch signifikant sein. Ob ein solcher kleiner Unterschied dann jedoch wirklich von Bedeutung ist, ist eine andere (inhaltliche) Frage. Wie ihr seht, erweist die Statistik uns sehr wertvolle Dienste – und auch, wenn ich sie in meinem Studium sehr häufig verflucht habe, bin ich rückblickend doch sehr froh, mit ihr jetzt vertraut zu sein.

Warum Ahnung von Wissenschaft Gold wert ist

Das allgemeine Wissen über die Prinzipien wissenschaftlicher Forschung (die nämlich in jeder Naturwissenschaft nahezu gleich sind) erachte ich als extrem wertvoll, weil es einem etwas unglaublich Wichtiges ermöglicht: zu beurteilen, welchen Quellen von Wissen man trauen kann und welchen nicht. Mit den Merkmalen von “guter”, d.h. aussagekräftiger Forschung im Kopf, ist es einem wissenschaftlich ausgebildeten Menschen möglich, zu beurteilen, ob er einer beliebigen Studie (egal, ob veröffentlicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift oder erwähnt in der Brigitte) Glauben schenken möchte. Ein solcher Mensch kann die angewandte Methode der Studie genau daraufhin überprüfen, ob die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, dass man hieraus tatsächlich gültige Schlussfolgerungen ziehen kann (z.B. interne Validität gegeben, vernünftige operantionale Definition…). Man fällt nicht so schnell darauf rein, wenn es bei RTL in den Nachrichten heißt, Forscher von der Universität XV hätten “herausgefunden, dass…” (oder noch schlimmer: “bewiesen, dass…”), sondern fragt sich erstmal, wie die Forscher das überhaupt untersucht haben könnten und ob eine solche Aussage auf Basis der verwendeten Forschungsmethode überhaupt zulässig ist. Nicht zuletzt lernt man hierdurch, vermeintliches “Wissen”, das einem im Alltag so begegnet, dahingehend zu hinterfragen, woher es stammt bzw. worauf es basiert – eine Kenntnis von meiner Meinung nach unschätzbarem Wert, ermöglicht es einem doch z.B., der ein oder anderen bunt-schillernden esoterischen Weltanschauung etwas Handfestes entgegen zu setzen und diese als substanzlos zu entlarven. Und eben diese grundsätzliche naturwissenschaftliche Expertise ist das, was Psychologen den Vertretern anderer Fächer (Medizin und Pädagogik eingeschlossen) voraushaben, was sie wiederum aber mit der ebenfalls empirisch orientierten Soziologie verbindet. Darüber, wovon Psychologen darüber hinaus noch so Ahnung haben, wird es im nächsten Artikel gehen.

© Christian Rupp 2013

Intelligenz – Teil 1: Was ist Intelligenz überhaupt? Die Definition hängt ab von der Kultur, in der wir leben.

Normalerweise würde man an einer solchen einführenden Stelle eine Definition erwarten. Und in der Tat haben auch zahlreiche Forscher versucht, den Begriff “Intelligenz” zu definieren. Das Problem ist: Dieses Vorhaben ist entsetzlich schwierig, wenn nicht unmöglich. Dass es irgendetwas mit der geistigen (kognitiven) Leistungsfähigkeit und mit “Schlausein” zu tun hat, ist, in die Alltagssprache übersetzt, der einzige Kern, den die meisten Definitionen teilen.

Ich möchte daher einen anderen Zugang wählen und einen Auszug aus der Forschung vorstellen, die sich mit der Sicht des Begriffs “Intelligenz” in verschiedenen Kulturen der Erde befasst hat. Denn je nach Kultur kann die Bedeutung von “Intelligenz” eine ziemlich andere sein, und wenn man die verschiedenen kulturellen Bedeutungen dieses Konstrukts einmal genau bedenkt, so ist dies meiner Meinung nach die beste Möglichkeit, zu verstehen, dass es nicht “die eine” Definition gibt. In diesem Teil soll es also darum gehen, wie Laien in verschiedenen Kulturen Intelligenz definieren. Um wissenschaftliche, auf empirischen Befunden basierende Theorien der Intelligenz wird es dagegen in den folgenden Teilen gehen.

Wie Menschen “Intelligenz” definieren, bestimmt ganz maßgeblich, wie sie die eigene Intelligenz und die anderer Menschen wahrnehmen und beurteilen. Sehr gute Forschung zu Laientheorien über “Intelligenz” wurde von dem renommierten Psychologen Robert Sternberg betrieben. Hierzu wählte er u.a. zwei Methoden: Einmal bat er (bzw. wahrscheinlich eher seine Mitarbeiter) zufällig ausgewählte Menschen (die z.B. auf einen Zug warteten), kurz aufzulisten, welche Fähigkeiten und Verhaltensweisen ein sehr intelligenter Mensch ihrer Meinung nach zeigt, um dann anschließend die Antworten verschiedenen Oberkategorien zuzuordnen. Ein anderes Mal ergänzte er dieses Vorgehen um einen faktorenanalytischen Ansatz, indem er im Anschluss an eine solche Erhebung andere Probanden bat, die aufgelisteten Fähigkeiten und Verhaltensweisen danach zu sortieren, welche sehr wahrscheinlich zusammen auftreten. In beiden Fällen besteht das Ergebnis in unterschiedlich vielen verschiedenen “Faktoren” oder “Dimensionen” von Intelligenz.

Sternberg führte solche Studien in verschiedenen Kulturen durch. Am interessantesten ist der Vergleich zwischen “westlichen” (Nordamerika, Europa) und “östlichen” Kulturen (ost- und südostasiatische Länder). So fand Sternberg in einer seiner Studien durch Befragung von Laien in westlichen Kulturen, dass die Menschen dort vor allem drei Dimensionen (oder Arten) von Inteligenz unterscheiden:

  • praktische Problemlösefähigkeit (die Fähigkeit, Probleme in Alltagssituationen zu lösen)
  • verbale Fähigkeit (Redegewandtheit, Verständnis von grammatikalischen Strukturen, reicher Wortschatz, Verwendung von Analogien)
  • soziale Kompetenz (gute Selbstwahrnehmung, Selbstsicherheit, Wertschätzung für andere, Fähigkeit, sich zu entschuldigen, Sicherheit in sozialen Interaktionen)

Weitere Studien ergaben, dass westliche Kulturen sehr stark mentale Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie die Fähigkeit, Informationen rasch und effizient zu sammeln und zu sortieren, betonen.

Vergleichbare Studien in östlichen Kulturen ergaben ein leicht abweichendes Bild. Hier verstehen die Menschen unter “Intelligenz” unter anderem soziale, historische und spirituelle Aspekte von alltäglichen Interaktionen, Wissen und Problemlösen. Das “östliche” Problemlösen unterscheidet sich jedoch in einem zentralen Aspekt von der “westlichen” Konzeption: Während in westlichen Kulturen ein Individuum dann als intelligent gilt, wenn es in der Lage ist, Probleme jeglicher Art alleine zu lösen, so sieht die in östlichen Kulturen weit verbreitete Sicht von Intelligenz vor, dass intelligentes Verhalten vor allem darin besteht, dass sich das Individuum dreier Arten von Hilfe bedient: indem es (1) Rat bei Familie und Freunden sucht, (2) geschichtliches Wissen hinzunimmt (wer hat dasselbe Problem schon einmal gelöst – und wie?) und (3) spirituelles Wissen hinzuzieht (welche Konsequenzen haben Handlungen zur Lösung des Problems für meine Seele?). Insbesondere spirituelle Aspekte spielen in östlichen Vorstellungen von Intelligenz eine große Rolle, während sie in westlichen Definitionen grundsätzlich nicht anzutreffen sind. Insgesamt liegt, wie gerade beschrieben, der Hauptunterschied darin, dass Intelligenz einmal als die Fähigkeit zum alleinigen Problemlösen aufgefasst wird – und einmal als die Fähigkeit, sich genau hierfür gezielter Hilfe zu bedienen.

Weitere Befunde aus China, Indien und Afrika

Es finden sich aber auch noch weitere interessante Aspekte von Intelligenz, die durch Studien in asiatischen und auch afrikanischen Kulturen entdeckt wurden. So fanden Yang und Sternberg (1997b) im Rahmen einer Befragung in China u.a. die Faktoren “Wohltätigkeit”, “Rechtschaffenheit”, “Bescheidenheit”, “Bemühungen zum Dazulernen” und “Freiheit von konventionellen Urteilsmaßstäben”. Baral und Das (2004) fanden in Indien neben “Urteilen” und “Bescheidenheit” auch die Dimension “Emotionen” als Facette von Intelligenz, und durch eine Untersuchung in Afrika fanden Irvine (1978) sowie Putnam und Kilbride (1980) u.a. die Aspekte “weniger sprachliche Äußerungen”, “Zuhören” und “Bedenken aller Aspekte eines Problems”.

Was Dimensionen wie “Bescheidenheit”, “Wohltätigkeit” und “Rechtschaffenheit” widerspiegeln, ist eng mit einem stabilen Befund der interkulturellen Persönlichkeitspsychologie verknüpft. Dieser Befund besagt, dass Menschen aus östlichen Kulturen eher kollektivistisch denken, d.h. das Wohl der Gemeinschaft die Maxime ihres Handelns darstellt und sie sich als Teil eines sozialen Gefüges wahrnehmen, ohne das sie nicht existieren könnten. Dem gegenüber weisen Menschen aus westlichen Kulturen (ganz besonders der US-amerikanischen) eher individualistische Denkstrukturen auf, was bedeutet, dass sie sich selbst eher als “Einzelkämpfer” wahrnehmen und davon ausgehen, dass jeder Mensch für sein Leben selbst verantwortlich ist. Dies wird u.a. auch durch das Verständnis von Intelligenz als Fähigkeit zum selbstständigen Problemlösen widergespiegelt.

Definition von “Intelligenz” je nach Alter

Aber nicht nur zwischen Nationalkulturen gibt es gravierende Unterschiede, was das Verständnis von Intelligenz angeht. Auch mit dem Alter ändert sich dieses Verständnis, wie z.B. die Psychologen Yussen und Kane (1985) zeigen konnten. Zum einen ist es so, dass Schüler_Innen unterschiedlicher Altersstufen Intelligenz anders definieren: Während jüngere Schüler eher davon ausgehen, dass man entweder intelligent ist oder nicht und dieses angeboren ist, hatten ältere Schüler bereits eine differenzierte Auffassung von Intelligenz und waren der Meinung, dass jemand z.B. im sprachlichen Bereich intelligenter sein kann als im mathematischen und dass die Intelligenz eher ein Zusammenspiel von angeborenen Anlagen und Umwelteinflüssen ist (was hiervon nun korrekt ist, ist ein anderes Thema, das ich natürlich in den folgenden Teilen noch ausgiebig behandeln werde).

Zum anderen hängt unsere Definition von intelligentem Verhalten natürlich stark davon ab, wie alt die zu beschreibende Person ist. So würden Sie wahrscheinlich dem zustimmen, dass “flüssige Ausdrucksweise” bei einer 20-Jährigen durchaus ein Zeichen von Intelligenz ist, nicht aber bei einer 3-Jährigen, wo vielmehr das schnelle Lernen und die im Kontext korrekte Anwendung eines neuen Wortes ein Anzeichen von Intelligenz ist. Berg und Steinberg (1992) fanden einen ähnlichen Effekt in ihrer Studie, die untersuchte, welche Verhaltensweisen Probanden bei 30-, 50- und 70-Jährigen für intelligent halten. Das Ergebnis zeigte, dass die Fähigkeit zum Umgang mit Neuem eher auf einen intelligenten 30-Jährigen zutrifft, während alltägliches Problemlösen und verbale Kompetenz eher einen sehr intelligenten Menschen zwischen 50 und 70 charakterisieren.

…und je nach Studienfach

Auch die akademische Fachrichtung spielt eine Rolle für das Verständnis von Intelligenz. Hierzu befragte Robert Sternberg (1985b), den wir oben bereits mehrfach kennen gelernt haben, Hochschulprofessoren verschiedener Fachrichtungen (Kunst, Wirtschaft, Philosophie, Physik) und fand sichtbare Unterschiede:

  • Kunst: u.a. Fähigkeit zum Umgang mit Wissen, Abwägen möglicher Alternativen, Sehen von Analogien
  • Wirtschaft: u.a. Fähigkeit zu logischem Denken sowie Durchschauen und Verstehen komplexer Argumentationslinien
  • Philosophie: u.a. kritische und logische Fähigkeiten sowie Auffinden von Fehlern in Argumentationen
  • Physik: u.a. präzises mathematisches Denken und schnelles Erfassen von Naturgesetzen

Fazit

Was ich nun hoffentlich zeigen konnte, ist, dass es in den Definitionen unterschiedlicher Kulturen (sowohl bezogen auf die Nationalität als auch auf die akademische Fachrichtung und das Alter) teils erhebliche Unterschiede bezüglich des Begriffs “Intelligenz” gibt. Neben diesen Unterschieden gibt es jedoch auch einige Komponenten, über die sich verschiedene Kulturen mehr oder weniger einig zu sein scheinen. Hierzu gehören eine allgemeine Problemlösefähigkeit (sowohl für alltagsnahe, d.h. praktische Probleme als für abstrakte), logisches Denkvermögen und soziale Kompetenz. Diese Begriffe werden Ihnen in den folgenden Teilen noch einmal begegnen, wenn ich die verschiedenen wissenschaftlichen Intelligenzmodelle vorstellen werde.

© Christian Rupp 2013